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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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136 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

dazu bewegen, die Sklavenhaltung aufzugeben. Einzig Revolte und Revolution<br />

der Sklaven selbst konnten ein angemessenes Druckmittel bilden. So<br />

wie sich das Kapital nur als Antwort auf die Bedrohung durch den organisierten<br />

Widerstand der Arbeiter dazu bewegen lässt, die Produktion neu zu<br />

gestalten und <strong>neue</strong> Technologien einzuführen, so hätte das europäische Kapital<br />

auch die Sklavenproduktion nicht aufgegeben, wenn nicht organisierte<br />

Sklaven seine Macht bedroht und dieses Produktionssystem unhaltbar gemacht<br />

hätten. Mit anderen Worten: Von der Sklaverei ließ man nicht aus<br />

ökonomischen Gründen, sie wurde vielmehr durch politische Kräfte überwunden<br />

(Blackburn 1988, bes. 520). Natürlich haben politische Unruhen<br />

die wirtschaftliche Rentabilität des Systems verringert, doch weitaus wichtiger<br />

war, dass die revoltierenden Sklaven eine wirkliche Gegenmacht bildeten.<br />

<strong>Die</strong> Revolution auf Haiti war dabei sicherlich die Wasserscheide in<br />

der modernen Geschichte der Sklavenaufstände ­ und ihr Gespenst ging zu<br />

Beginn des 19. Jahrhunderts in ganz Amerika um, so wie über hundert Jahre<br />

später das Gespenst der russischen Oktoberrevolution den europäischen<br />

Kapitalismus verfolgte. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass Revolte<br />

und Widerstand stets ein Teil der Sklaverei in ganz Amerika waren,<br />

von New York bis Bahia. <strong>Die</strong> Sklavenwirtschaft war, nicht anders als die<br />

Wirtschaft der Moderne, eine Wirtschaft der Krise.<br />

<strong>Die</strong> Behauptung, dass Sklaverei und Leibeigenschaft der kapitalistischen<br />

Produktion und Entwicklung inhärent sind, verweist auf die enge Beziehung<br />

zwischen dem Wunsch der unterdrückten Arbeiter, dem System von<br />

Befehl und Gehorsam zu entkommen, und den Versuchen des Kapitals, die<br />

Bevölkerung innerhalb fester territorialer Grenzen zu halten. Yann Moulier<br />

Boutang betont die besondere Stellung dieser Fluchtlinien in der Geschichte<br />

des Kapitalismus: »Es war eine anonyme, kollektive, beharrliche und nicht<br />

mehr einzudämmende Macht der Verweigerung, welche den Arbeitsmarkt<br />

zur Freiheit getrieben hat. Eben diese Macht hat den Liberalismus dazu gezwungen,<br />

sich für die Apologie freier Arbeit, für das Recht auf Eigentum<br />

und für offene Grenzen einzusetzen. Und sie hat die bürgerlichen Ökonomen<br />

zu Modellen genötigt, die Arbeit unbeweglich machen, sie disziplinieren<br />

und die Elemente ununterbrochener Flucht ignorieren. All das diente<br />

dazu, tausende Formen der Sklaverei immer und immer wieder neu zu erfinden.<br />

<strong>Die</strong>ser unausweichliche Aspekt der Akkumulation geht der Frage<br />

der Proletarisierung im liberalen Zeitalter voraus. Er bildet die Grundlage<br />

des modernen Staates.« (Moulier Boutang 1998, 5) <strong>Die</strong> Sehnsucht der<br />

Menge nach Deterritorialisierung ist der Motor, der den gesamten kapitali­

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