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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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DIE DIALEKTIK KOLONIALER SOUVERÄNITÄT 145<br />

»Reziprozität«, die Malcolm X als Strategie gegen die Gewalt der weißen<br />

Übermacht in den Vereinigten Staaten propagierte (Malcolm X 1964, 22).<br />

Doch weder für Fanon noch für Malcolm X führt dieser negative Moment,<br />

diese gewaltsame Reziprozität zu irgendeiner dialektischen Synthese;<br />

sie ist nicht der Auftakt, der sich in der Zukunft irgendwann in Harmonie<br />

auflöst. <strong>Die</strong>se offene Negativität ist nichts anderes als der gesunde Ausdruck<br />

eines tatsächlichen Gegensatzes, eines unmittelbaren Zwangsverhältnisses.<br />

Weil diese Negativität nicht Mittel zu einer abschließenden Synthese<br />

ist, ist sie als solche keine Politik; vielmehr verlangt sie nur, die Kolonialherrschaft<br />

abzuschütteln, und eröffnet damit ein Feld für die Politik. Der<br />

wahre politische Konstituierungsprozess wird auf diesem offenen Kräftefeld<br />

mit Hilfe einer positiven Logik stattfinden müssen, jenseits der Dialektik<br />

kolonialer Souveränität.<br />

Das vergiftete Geschenk der nationalen Befreiung<br />

Der subalterne Nationalismus hat also in der Tat, wie wir im vorangegangenen<br />

Abschnitt gezeigt haben, eine ganze Reihe wichtiger progressiver<br />

Funktionen erfüllt. <strong>Die</strong> Nation diente unterworfenen Gruppen sowohl als<br />

Verteidigungswaffe, um die Gruppe vor Herrschaft von außen zu schützen,<br />

und als Zeichen der Einheit, Autonomie und Macht der Gemeinschaft. 18<br />

Während der Dekolonisation und danach erschien die Nation als notwendiges<br />

Vehikel politischer Modernisierung und als unvermeidlicher Weg in<br />

Richtung Freiheit und Selbstbestimmung. <strong>Die</strong> ursprüngliche Charta der<br />

Vereinten Nationen enthielt das Versprechen einer globalen Demokratie<br />

unter Nationen, wozu unter anderem deren Gleichberechtigung und Souveränität<br />

gehören sollten: »<strong>Die</strong> Organisation und ihre Mitglieder handeln (...)<br />

nach dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitglieder.« (UN­<br />

Charta, Art. 2) Nationale Souveränität heißt Freiheit von Fremdherrschaft<br />

und Selbstbestimmungsrecht der Völker und signalisiert damit die endgültige<br />

Niederlage des Kolonialismus.<br />

<strong>Die</strong> progressiven Funktionen nationaler Souveränität sind jedoch stets<br />

von den mächtigen Strukturen innerer Herrschaft begleitet. <strong>Die</strong> Gefahren<br />

der nationalen Befreiung werden noch deutlicher, wenn man sie von außen<br />

betrachtet, nämlich im Hinblick auf das Weltwirtschaftssystem, in dem sich<br />

die »befreite« Nation plötzlich wiederfindet. Und dabei erweist sich die<br />

Gleichung Nationalismus = politische und wirtschaftliche Modernisierung,

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