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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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DIE DIALEKTIK KOLONIALER SOUVERÄNITÄT 141<br />

rer konstruiert ist, kann es innerhalb einer größeren Einheit aufgehoben (im<br />

doppelten Wortsinn: negiert und auf eine höhere Stufe gehoben) werden.<br />

Der absolut Andere spiegelt sich im Eigensten wider. Nur in Opposition<br />

zum Kolonisierten kann das metropolitane Subjekt wirklich es selbst werden.<br />

Was zunächst als simple Logik des Ausschlusses erschien, erweist sich<br />

damit als negative Dialektik der Anerkennung. Der Kolonisator produziert<br />

den Kolonisierten als Negation, doch mittels einer dialektischen Wendung<br />

wird diese negative kolonisierte Identität ihrerseits negiert, um das positive<br />

Ich des Kolonisators zu begründen. Das moderne europäische Denken und<br />

das moderne Ich sind beide notwendig an das gebunden, was Paul Gilroy<br />

das »Verhältnis von Rassenterror und Unterwerfung« nennt (Gilroy 1993, l­<br />

40). <strong>Die</strong> goldenen Monumente nicht nur der europäischen Städte, sondern<br />

auch des modernen europäischen Denkens gründen auf dem intimen dialektischen<br />

Kampf mit Europas Anderen.<br />

Nun ist es aber so, dass die koloniale Welt dieser schlichten zweigeteilten<br />

dialektischen Struktur niemals wirklich entsprochen hat. Jede Untersuchung<br />

der haitianischen Gesellschaft im 18. Jahrhundert vor der Revolution darf<br />

nicht nur Weiße und Schwarze betrachten, sondern muss auch die Stellung<br />

der Mulatten berücksichtigen, die sich zuweilen aufgrund ihres Eigentums<br />

und ihrer Freiheit mit den Weißen verbündeten, aufgrund ihrer nicht­weißen<br />

Hautfarbe mitunter aber auch mit den Schwarzen. Selbst wenn man nur die<br />

Rassen betrachtet, erfordert diese soziale Realität also mindestens drei<br />

Untersuchungsachsen ­ aber auch damit verfehlt man die wirklichen<br />

gesellschaftlichen Trennlinien. Man muss überdies nämlich die Konflikte<br />

zwischen Weißen unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit berücksichtigen<br />

sowie die Tatsache, dass sich die Interessen der schwarzen Sklaven von<br />

denjenigen der freien Schwarzen und der sogenannten Buschneger unterschieden.<br />

Kurz: <strong>Die</strong> tatsächliche gesellschaftliche Situation in den Kolonien<br />

lässt sich niemals nahtlos in eine absolute binäre Struktur zweier strikt<br />

entgegengesetzter Kräfte zwängen. <strong>Die</strong> Realität stellt sich stets als eine wuchernde<br />

Vielfalt dar. Wir behaupten hier jedoch gar nicht, dass die Realität<br />

diese einfache binäre Struktur aufweist, sondern dass der Kolonialismus als<br />

abstrakte Maschine, die Identitäten und Alteritäten erzeugt, der kolonialen<br />

Welt binäre Aufteilungen aufzwingt. Der Kolonialismus homogenisiert die<br />

in Wirklichkeit bestehenden sozialen Unterschiede, indem er einen übergreifenden<br />

Gegensatz schafft, der die Differenzen absolut setzt und anschließend<br />

den Gegensatz in der Identität europäischer Zivilisation aufhebt.<br />

Nicht die Wirklichkeit ist dialektisch, sondern der Kolonialismus.

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