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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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142 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

<strong>Die</strong> Arbeiten zahlreicher Autoren wie etwa Jean-Paul Sartre oder Frantz<br />

Fanon, die erkannt haben, dass koloniale Vorstellungen und koloniale Souveränität<br />

eine dialektische Form aufweisen, haben sich in mehrerlei Hinsicht<br />

als nützlich erwiesen. Denn zum ersten macht die dialektische Konstruktion<br />

deutlich, dass hier keineswegs wirkliche Identitäten miteinander<br />

ringen. Der Weiße und der Schwarze, der Europäer und der Orientale, der<br />

Kolonisator und der Kolonisierte - sie alle sind Rollentypen, die nur im<br />

Verhältnis zueinander funktionieren und (obwohl sie mitunter tatsächlich<br />

auftauchen) keine wirklich notwendige Grundlage in der Natur, Biologie<br />

oder Rationalität haben. Der Kolonialismus ist eine abstrakte Maschine, die<br />

Identität und Alterität erzeugt. Und doch funktionieren diese Unterschiede<br />

und Identitäten in der kolonialen Situation so, als ob sie absolut, wesenhaft<br />

und natürlich wären. Das erste Ergebnis der dialektischen Lesart ist somit<br />

die Entnaturalisierung der rassischen und kulturellen Unterschiede. Das<br />

heißt nicht, dass sich die kolonialen Identitäten, hat man sie einmal als<br />

künstliche Gebilde erkannt, in Nichts auflösen; sie sind wirkliche Illusionen<br />

und funktionieren weiter, als wären sie essentiell. <strong>Die</strong>se Erkenntnis ist jedoch<br />

noch keine Politik, sondern nur ein Zeichen dafür, dass eine antikoloniale<br />

Politik möglich ist. Zum zweiten macht die dialektische Interpretation<br />

deutlich, dass Kolonialismus und kolonialistische Vorstellungen in einem<br />

gewaltsamen Kampf gründen, den es ständig zu er<strong>neue</strong>rn gilt. Das europäische<br />

Ich braucht Gewalt und die Konfrontation mit seinem Anderen, um<br />

seine Macht zu spüren und zu erhalten, um sich selbst ständig neu zu schaffen.<br />

Der allgemeine Kriegszustand, der koloniale Vorstellungen ständig<br />

durchzieht, ist nichts Zufälliges oder gar Ungewolltes — Gewalt ist vielmehr<br />

die notwendige Begründung des Kolonialismus an sich. Zum dritten macht<br />

die Feststellung, dass es sich beim Kolonialismus um eine negative Dialektik<br />

der Anerkennung handelt, das subversive Potenzial deutlich, das in dieser<br />

Situation steckt. Wenn ein Denker wie Fanon sich auf Hegel bezieht, so führt<br />

ihn das zu der Vermutung, dass der Herr nur eine Hohlform der Anerkennung<br />

erlangen kann; dagegen besitzt der Sklave durch seinen Kampf auf<br />

Leben und Tod die Möglichkeit, zu einem vollen Bewusstsein seiner selbst<br />

zu gelangen (Fanon 1952, 137-141). Dialektik impliziert üblicherweise<br />

Bewegung, doch diese Dialektik der europäischen souveränen Identität ist<br />

in einen statischen Zustand verfallen. <strong>Die</strong> gescheiterte Dialektik lässt vermuten,<br />

dass es eine wahre Dialektik gibt, welche die Geschichte über die<br />

Negativität voran bringen wird.

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