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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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130 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

sehen Revolution, die sich in ihrer reinen Form von Paris aus verbreitete. Wenn<br />

die französischen Revolutionäre gegen das Ancien Regime die universellen<br />

Menschenrechte auf »liberte, egalite et fraternite« verkündeten, so ging Toussaint<br />

davon aus, dass auch die Schwarzen, Mulatten und Weißen der Kolonie unter<br />

diesem großen Schirm der Bürgerrechte ihren Platz hatten. Er glaubte, dass der<br />

Sieg über den Feudaladel und die Betonung universeller Werte in Europa auch<br />

den Sieg über die »Rassenaristokratie« und die Abschaffung der Sklaverei<br />

bedeuteten. Alle würden nunmehr freie Bürger sein, gleiche Brüder in einer<br />

<strong>neue</strong>n französischen Republik. <strong>Die</strong> Briefe, die Toussaint an hohe französische<br />

Militärs und Regierungsmitglieder schickte, denken die Revolutionsrhetorik in<br />

strenger Logik konsequent zu Ende und enthüllen gerade dadurch deren<br />

Scheinheiligkeit. Ob aus Naivität oder taktischen politischen Erwägungen macht<br />

Toussaint deutlich, wie die Revolutionsführer die Prinzipien, die ihnen angeblich<br />

so heilig sind, verraten. In einem Bericht an das Direktorium vom 14. Brumaire<br />

des Jahres VI (5. November 1797) warnt Toussaint die französischen Führer<br />

davor, dass eine Rückkehr zur Sklaverei und jeder Kompromiss bei den<br />

Prinzipien unmöglich seien. Eine Verkündung der Freiheit sei irreversibel:<br />

»Glauben Sie, dass Menschen, welche sich der Segnungen der Freiheit erfreuen<br />

durften, ruhig zusehen werden, wie sie ihnen entrissen wird? (...) Doch nein, das<br />

Land, das unsere Ketten gesprengt hat, wird uns nicht aufs Neue versklaven.<br />

Frankreich wird seinen Prinzipien nicht untreu werden, es wird uns nicht die<br />

größten Segnungen entziehen.« (Zit. n. James 1984, 223)<br />

<strong>Die</strong> Proklamation universaler Rechte, die in Paris so selbstbewusst ihren<br />

Ausgang genommen hatte, kommt aus Santo Domingo zurück und sorgt im<br />

Herzen der Franzosen einzig für Entsetzen. Auf ihrem Weg über den Atlantik<br />

wurde die Universalität der Ideale realer und in die Praxis umgesetzt. Aime<br />

Cesaire glaubt, Toussaint L'Ouverture habe das Projekt über den Bereich hinaus<br />

vorangetrieben, »der das bloße Denken von der konkreten Wirklichkeit trennt;<br />

das Recht von seiner Verwirklichung; die Vernunft von der ihr angemessenen<br />

Wahrheit« (Cesaire 1961, 309). Toussaint nimmt die Erklärung der<br />

Menschenrechte wörtlich und beharrt auf deren vollständiger Umsetzung in die<br />

Praxis. <strong>Die</strong> Revolution unter Toussaint strebt nicht nach Befreiung von<br />

europäischer Herrschaft, nur um anschließend wieder in eine verlorene<br />

afrikanische Welt zurückkehren zu können oder isoliert traditionelle<br />

Herrschaftsformen wieder einzuführen; Toussaint blickt vielmehr voraus auf die<br />

Formen von Freiheit und Gleichheit, die in der zunehmend miteinander<br />

verbundenen Welt neu zu erlangen sind (vgl. Genovese 1979, 88).

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