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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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384 UNTERGANG UND FALL DES EMPIRE<br />

(Nietzsche 1883-88, VIII/1, 77). Über die Moderne hinauszugehen heißt,<br />

die Schranken und Transzendenzen des Eurozentrismus zu überschreiten,<br />

und führt zur endgültigen Hinnahme der Immanenz als dem ausschließlichen<br />

Terrain für Theorie und Praxis der Politik.<br />

In den Jahren nach der Explosion des Ersten Weltkriegs versuchten diejenigen,<br />

die bei diesem schrecklichen Massaker dabei waren, verzweifelt,<br />

die Krise zu verstehen und in den Griff zu bekommen. Man denke nur an<br />

die Zeugnisse Franz Rosenzweigs und Walter Benjamins. Beide bedienten<br />

sich einer Art säkularer Eschatologie, um die Krisenerfahrung frei zu setzen<br />

(vgl. Rosenzweig 1921). Nach der historischen Erfahrung von Krieg und<br />

Elend und vielleicht schon in Vorahnung des kommenden Holocaust suchten<br />

beide nach einem Hoffnungs- und Rettungsschimmer. Es gelang ihnen<br />

beiden jedoch nicht, der mächtigen Unterströmung der Dialektik zu entkommen.<br />

Zwar war die Dialektik, diese verfluchte Dialektik, welche die<br />

europäischen Werte zusammen und am Leben gehalten hatte, zweifellos<br />

innerlich ausgehöhlt und wurde als vollkommen negative betrachtet. Doch<br />

die apokalyptische Bühne, auf der dieser Mystizismus nach Befreiung und<br />

Erlösung suchte, war noch immer zu sehr mit der Krise verbunden. Benjamin<br />

nahm das mit Bitterkeit wahr: »<strong>Die</strong> Vergangenheit führt einen heimlichen<br />

Index mit, durch den sie auf die Erlösung verwiesen wird. Streift denn<br />

nicht uns selber ein Hauch der Luft, die um die Früheren gewesen ist? ist<br />

nicht in Stimmen, denen wir unser Ohr schenken, ein Echo von nun verstummten?<br />

haben die Frauen, die wir umwerben, nicht Schwestern, die sie<br />

nicht mehr gekannt haben? Ist dem so, dann besteht eine geheime Verabredung<br />

zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem. Dann sind wir<br />

auf der Erde erwartet worden. Dann ist uns wie jedem Geschlecht, das vor<br />

uns war, eine schwache messianische Kraft mitgegeben, an welche die Vergangenheit<br />

Anspruch hat.« (Benjamin 1940, 693f.)<br />

<strong>Die</strong>se theoretische Erfahrung ergab sich genau zu der Zeit, als die Krise<br />

der Moderne am intensivsten zu spüren war. Auf dem gleichen Terrain versuchten<br />

andere Autoren mit den Überresten der Dialektik und ihrer Macht<br />

der Subsumtion zu brechen. Aber offensichtlich waren nicht einmal die<br />

stärksten Denker dieser Zeit dazu in der Lage, sich von der Dialektik und<br />

der Krise endgültig zu verabschieden. Bei Max Weber lässt sich die Souveränitäts-<br />

und Legitimitätskrise nur durch Rekurs auf die irrationalen charismatischen<br />

Gestalten lösen. Bei Carl Schmitt klärt sich der Horizont souveräner<br />

Praktiken nur durch den Rückgriff auf die »Entscheidung«. Eine<br />

irrationale Dialektik jedoch kann die Krise der Wirklichkeit nicht lösen und

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