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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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138 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

heid ist nur eine Form (wenngleich vielleicht die emblematischste) dieser Aufteilung<br />

der kolonialen Welt.<br />

<strong>Die</strong> Barrieren, welche die koloniale Welt teilen, folgen nicht einfach natürlichen<br />

Grenzen, wenngleich es sich fast immer um physische Markierungen handelt, die<br />

diese Teilung als natürliche erscheinen lassen. Alterität ist jedoch nicht von Natur<br />

aus gegeben, sondern sie wird bewusst erzeugt. <strong>Die</strong>se Prämisse bildet den<br />

Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Untersuchungen, die in den vergangenen<br />

Jahrzehnten erschienen sind, unter ihnen auch Edward Saids wegweisendes Buch<br />

über den Orientalismus: »Ich begann mit der Annahme, dass der Orient keine<br />

unveränderliche Tatsache der Natur ist, (...) dass der Orient [vielmehr] geschaffen -<br />

oder, wie ich es nenne, >orientalisiert< - wurde.« (Said 1981b, 12f.) Der<br />

Orientalismus ist nicht einfach eine Forschungsrichtung, die genauere Kenntnis<br />

über ein reales Objekt, nämlich den Orient, gewinnen will, sondern vielmehr ein<br />

Diskurs, der sich im Zuge des Diskurses sein eigenes Objekt schafft. <strong>Die</strong> beiden<br />

Hauptmerkmale des Orientalismus sind seine Homogenisierung des Orients vom<br />

Maghreb bis nach Indien (wonach die Orientalen überall beinahe gleich sind) und<br />

dessen Essentialisierung (der Orient und der orientalische Charakter stellen zeitlose<br />

und unveränderliche Identitäten dar). Das Ergebnis dabei ist, wie Said zeigt, nicht<br />

der Orient, wie er ist, also ein empirischer Gegenstand, sondern der Orient, wie er<br />

orientalisiert wurde, also ein Gegenstand des europäischen Diskurses (ebd., 113f.).<br />

Der Orient ist somit -zumindest soweit wir ihn über den Orientalismus vermittelt<br />

kennen - das Produkt eines Diskurses, der in Europa entstanden ist und in den<br />

Orient reexportiert wurde. Das Bild des Orients ist also zugleich eine Form der<br />

künstlichen Erzeugung und eine Form des Ausschlusses.<br />

Von den akademischen Disziplinen, die an dieser kulturellen Erzeugung von<br />

Alterität beteiligt waren, war die Anthropologie möglicherweise die wichtigste<br />

Rubrik, unter der der eingeborene Andere nach Europa importiert und dann wieder<br />

exportiert wurde. 16 Aus den tatsächlichen Unterschieden der nicht-europäischen<br />

Völker konstruierten die Anthropologen des 19. Jahrhunderts ein anderes<br />

Lebewesen von ganz anderem Wesen; unterschiedliche kulturelle und physische<br />

Merkmale wurden zum Wesen des Afrikaners, des Arabers, des Aborigine usw.<br />

erklärt. Auf dem Höhepunkt der kolonialen Expansion, als die europäischen<br />

Mächte Afrika unter sich aufteilten, waren die Anthropologie und das Studium<br />

nicht-europäischer Völker nicht mehr nur eine Sache der Gelehrten, sondern auch<br />

ein weites Feld öffentlicher Belehrung. Der Andere wurde nach Europa importiert - in

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