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Darstellendes Spiel und ästhetische Bildung - KOBRA - Universität ...

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Vorwort<br />

Rettet die Phänomene!<br />

„Denn in unserem Jahrh<strong>und</strong>ert sind sie mehr als jemals zuvor entfernt von<br />

den F<strong>und</strong>amenten, das heißt: der primären, phänomenalen Wirklichkeit<br />

des Kindes <strong>und</strong> des Laien: fort von der freien Natur zur Apparatur, vom<br />

Wort zum Symbol, vom Satz zur Gleichung, von der Anschauung zu abstrakten<br />

Strukturen, vom Phänomen zur Modellvorstellung. Pädagogisch<br />

gesehen sind das Schritte von nie dagewesener Spannweite der Abstraktion.<br />

Ein nur hastig konsumierender Unterricht gefährdet die Kontinuität<br />

des Verstehens.“ (Martin Wagenschein 1976) 1<br />

Mit diesem Satz des Physikdidaktikers <strong>und</strong> Phänomenologen Martin Wagenschein<br />

kennzeichnet er ein Dilemma, das bereits vor ihm so unterschiedliche<br />

Denker wie Edm<strong>und</strong> Husserl, Martin Heidegger, Günther Anders, aber auch<br />

Theodor W. Adorno als f<strong>und</strong>amentale Krise der Moderne charakterisiert haben:<br />

die Zersplitterung in Natur <strong>und</strong> Geisteswissenschaft <strong>und</strong> die Trennung<br />

von Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst. Demnach zerfällt die Welt in zwei Hälften: eine<br />

rational <strong>und</strong> rationell funktionierende Vernunftwelt <strong>und</strong> eine Welt der spekulativen<br />

Metaphysik. In der Welt des rechnenden Denkens 2 herrscht instrumentelle<br />

Vernunft, 3 <strong>und</strong> man beschäftigt sich mit festgestellten Dingen, mit Dingen, die<br />

auf dem Seziertisch liegen. 4 Dem aus der Perspektive der Naturwissenschaft<br />

entgegenzutreten, war die Absicht Wagenscheins. Denn ohne die leibsinnliche<br />

Bezugnahme auf die Phänomene ist nachhaltiges Lernen nicht denkbar. Es<br />

braucht die persönliche Perspektive, das Staunen <strong>und</strong> die <strong>ästhetische</strong> Erfahrung,<br />

damit Lernen ein mehrdimensionaler Prozess wird, ohne den fortschreitende<br />

Erkenntnis <strong>und</strong> eine humanistische Lebensweltgestaltung kaum möglich<br />

erscheinen. Aus der Hinwendung zum Phänomen ergibt sich auch eine didaktisch<br />

<strong>und</strong> pädagogisch gebotene Hinwendung zu kindlichen Perspektiven.<br />

Diese wissenschaftliche Haltung hat das Zentrum für Lehrerbildung der <strong>Universität</strong><br />

Kassel bewogen, den Wagenschein-Preis auszuloben, wobei hier<br />

nicht nur ein großer Didaktiker gewürdigt, sondern eine bedeutende erziehungswissenschaftliche<br />

Tradition gefördert <strong>und</strong> aktualisiert wird. Anja Deistlers<br />

herausragende Examensarbeit ist in diesem Kontext angesiedelt <strong>und</strong> stellt einen<br />

impulsreichen Beitrag zur forschungsorientierten Lehrerbildung dar. Bezugspunkt<br />

ist eine empirisch gegründete ethnographische Kindheitsforschung<br />

<strong>und</strong> entwickelte Theorie aus einer verdichteten Analyse kindlicher Perspektiven.<br />

Thema dieser empirisch ausgerichteten Arbeit ist die Untersuchung von Wirkungen<br />

<strong>und</strong> Potentialen des Darstellenden <strong>Spiel</strong>s im Kontext der Gr<strong>und</strong>schule,<br />

wobei das Spannungsfeld zwischen einer basalen <strong>ästhetische</strong>n <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Wagenschein, M. (1976). Rettet die Phänomene. München.<br />

Heidegger, M. (2006). Was ist Metaphysik? Frankfurt am Main.<br />

Horkheimer, M. & Adorno, Th. W. (1947). Dialektik der Aufklärung. Amsterdam.<br />

Husserl, E. (2012). Die Krisis der europäischen Wissenschaften <strong>und</strong> die transzendentale Phänomenologie<br />

– Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie. Hamburg.<br />

5

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