Blumen aus Galiläa - Novertis
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DER GROSSE AUFBRUCH<br />
Im frühen Herbst, wenn die Granatäpfel reif werden, breche<br />
ich zu den Ruinen des zerstörten palästinensischen Dorfes Saffurie auf.<br />
Die Geburtsstadt von Marias Mutter beherbergt immer noch die Kreuzfahrerkirche<br />
St. Anna. Dieses alte Dorf war vor etwa 2.000 Jahren eine<br />
wichtige Stadt mit dem Namen Sepphoris, die sich weigerte, sich den jüdischen<br />
Fanatikern anzuschließen, und dem Imperium treu blieb. Der Ort<br />
überlebte alle Launen der Zeit, bis er 1948 von der israelischen Armee<br />
gestürmt und zerstört wurde. Die Dorfbewohner wurden zu Flüchtlingen<br />
und zogen in Lager oder ins nahe gelegene Nazareth.<br />
Die Wäldchen des toten Dorfes liegen in den Tälern versteckt und bringen<br />
jedes Jahr volle, runde, schwere und pralle Granatäpfel hervor, doch<br />
es ist niemand mehr da, um sie zu pflücken. Den Bewohnern der jüdischen<br />
Siedlung, die neben den Ruinen entstanden ist, ist das Schicksal der<br />
Granatäpfel und der Bauern, die die Bäume pflanzten, gleichgültig. In<br />
diesem Königreich der Trostlosigkeit und der reichlich tragenden Obstbäume<br />
gibt es auch ein sorgfältig gelegtes römisches Bodenmosaik, das<br />
manchmal die Mona Lisa von <strong>Galiläa</strong> genannt wird. T<strong>aus</strong>ende von kleinen<br />
Steinchen in verschiedenen Schattierungen bilden ein längliches Gesicht<br />
mit einer geraden Nase, hochgestecktem Haar und vollen Lippen. Das<br />
Bild wird von Akanthusblättern umrahmt.<br />
Dieses Mosaik erinnert mich immer an unsere wunderbare Welt, dieses<br />
erfreuliche Mosaik <strong>aus</strong> kleinen Städten, grünen Wiesen, Ballungsräumen,<br />
Schlössern und Hütten, Flüssen und Strömen, Kirchen und Moscheen. Jedes<br />
Stück des Mosaiks ist fein zugeschliffen, wertvoll und passgenau. Ich habe<br />
viele von ihnen gesehen und liebe sie alle: die steinigen, tief liegenden<br />
Inseln in der klaren und transparenten baltischen See, wo blonde Kinder<br />
vom Pier <strong>aus</strong> vorbeifahrenden Schiffen zuwinken; La France Profonde<br />
von Conque, ein kleiner Weiler im Massif Central auf der alten Pilgerstraße<br />
nach St. Jacques, wo ein schnatterndes Flüsschen den Hügel durchschneidet,<br />
die Schieferdächer und die vor t<strong>aus</strong>end Jahren gepflasterten<br />
Straßen; die Kuppeln russischer Kirchen im hohen Gras am Fluss Oka,<br />
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