29.04.2014 Aufrufe

Blumen aus Galiläa - Novertis

Blumen aus Galiläa - Novertis

Blumen aus Galiläa - Novertis

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ein Bogen ist eine Hommage an den Mond, da er <strong>aus</strong> zwei<br />

einander spiegelbildlich ergänzenden Mondsicheln besteht. Der Vollmond<br />

formt das perfekt abgerundete Tonnengewölbe, das die Römer bevorzugten;<br />

der spitz zulaufende muslimische Bogen wird von den zunehmenden<br />

Mondsicheln des siebten Tages geformt. In Nablus findet man Bögen für<br />

jeden Tag des Mondmonats, sogar umgedrehte Bögen, die <strong>aus</strong> abnehmenden<br />

Monden geformt sind. Ein gewissenhafter Architekturstudent könnte<br />

in dieser alten palästinensischen Stadt eine umfassende Geschichte des<br />

Bogens verfassen.<br />

In der Kasbah geht ein Bogengang in den nächsten über, bis sie in den<br />

dämmrigen Schatten verschwinden. In der Nähe der Salahie-Moschee haben<br />

die unterirdischen Gänge die Form einer Windrose <strong>aus</strong> den Seekarten.<br />

Mein Blick fällt in die schwarze Pupille einer Öffnung und trifft auf Bögen,<br />

die wie der Verschlussmechanismus eines Fotoapparats geformt sind.<br />

Nablus ist ein Maulwurfshügel, Generationen von gewieften Zwergen<br />

könnten sich hier vergraben in den langen, gewundenen Tunnels unter den<br />

soliden Steinhäusern der Altstadt, die die Basare, Moscheen und Kirchen<br />

miteinander verbinden.<br />

Hussein führte uns geschickt durch das Labyrinth der Tunnels. An anderen<br />

Orten würden solche Tunnels ein Gefühl der Kl<strong>aus</strong>trophobie hervorrufen,<br />

hier in Nablus jedoch beschützen sie die Menschen und geben<br />

ihnen ein Gefühl der Geborgenheit. Sie verbargen uns vor wachsamen<br />

Augen und den Nachtsichtgeräten der Heckenschützen, die sich auf dem<br />

„Berg des Fluchs" versteckt hielten. Wir mussten einen Platz überqueren,<br />

einen geräumigen, italienisch anmutenden Platz mit einem netten Kinderspielareal.<br />

Wir schlichen uns an den Mauern des flachen Kolonialgebäudes<br />

entlang, fürchteten uns nicht vor engen, geschlossenen Tunnels. Wir<br />

hatten Angst vor freien Plätzen.<br />

Geschosse pfiffen durch die Luft und trafen irgendwo auf eine Mauer.<br />

Ein Maschinengewehr feuerte zurück. Bald wurde die Gebirgsluft vom<br />

Kugelhagel und von Leuchtgeschossen zerfetzt. Die Stadt wurde seit April<br />

2002 belagert und die Juden schossen sporadisch auf ihre Bewohner. Die<br />

Mauern, die den Platz umgaben, waren mit bunten Porträts der Getöteten<br />

70<br />

IE MONDSTADT<br />

D

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!