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Blumen aus Galiläa - Novertis

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DER GRÜNE REGEN VON YASSOUF<br />

Oliven zu pflücken ist wie Perlen zu zählen, da sie sich so<br />

zart, sanft und sinnlich anfühlen. Orientalische Männer tragen Holz- oder<br />

Steinperlen am Handgelenk, so genannte mesbaha, um sie an ihr Gebet zu<br />

erinnern oder um angespannte Nerven zu beruhigen, aber Oliven sind dafür<br />

noch geeigneter: sie sind lebendig. Oliven sind zart, aber nicht zerbrechlich,<br />

gen<strong>aus</strong>o wie die Bauernmädchen, und Oliven zu pflücken gibt einem<br />

ein beruhigendes Gefühl, als ob nichts auf der Welt schief gehen könnte.<br />

Oliven lösen sich ohne Furcht oder Bedauern vom Zweig, fallen sanft in<br />

die Hand und rollen in die Sicherheit der für ihren Fall auf dem Boden<br />

<strong>aus</strong>gebreiteten Decken.<br />

Es ist Erntezeit und jeder Baum auf dem Hügel wird abgeerntet. Ganze<br />

Familien sind unter den Bäumen und auf Leitern zu finden. Es ist ein wunderschönes<br />

Bild, wie geschaffen für den Pinsel von Pieter Bruegel dem<br />

Älteren. Wir pflücken Oliven zusammen mit der Familie von Hafez, wir<br />

sind zu fünft oder sechst. Wir stehen unter den dicken Ästen des weit <strong>aus</strong>ladenden<br />

knorrigen alten Baumes und berühren diesen lebendigen Rosenkranz<br />

unserer Mutter, des lieblichen Landes Palästina. Hafez' fast achtjährige<br />

Tochter Rowan hat Haar von goldener Farbe, wie reifer Minnesota-<br />

Weizen, sie hat himmelblaue Augen, für einen Fremden überraschende,<br />

aber in dieser Gegend nicht unübliche Gesichtszüge und lachende Lippen.<br />

Sie klettert bis an die Baumspitze und die Oliven, die sie pflückt, fallen<br />

wie grüner Regen in unsere Hände, auf unsere Schultern und Köpfe. Bevor<br />

wir zum nächsten Baum weitergehen, heben wir die Ecken der Decke<br />

an und ein dichter Strom Oliven füllt die Tasche. Ein hellgraues Fohlen<br />

grast nicht weit entfernt, um Kräfte für den Rückweg zu sammeln. Es soll<br />

die Taschen ins Dorf oberhalb des Tals tragen.<br />

Wir pflücken Oliven in Yassouf, einem wundervoll unbedeutenden Dorf<br />

im Hochland. Die geräumigen hohen Häuser <strong>aus</strong> sanftem, hellem Stein<br />

zeugen von altem Reichtum, der von unablässiger Arbeit herrührt. Breite<br />

Treppen führen auf die flachen Dächer, auf denen die Bewohner an warmen<br />

Sommerabenden sitzen und die Brise vom fernen Mittelmeer genießen.<br />

Hier wachsen viele Granatapfelbäume. Schon in einer t<strong>aus</strong>end Jahre<br />

alten Beschreibung Palästinas durch einen Zeitgenossen von Wilhelm dem<br />

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