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Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund

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Erstspracherwerb bezeichnet. Jenseits aller Kontroversen, die in der Forschung über diese sehr<br />

bedeutende Phase des Spracherwerbs ausgetragen wurden – erinnert sei hier nur als Beispiel an<br />

die in den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren ausgetragene „Anlage-Umwelt-Kontroverse“ (vgl.<br />

Miller/Weißenborn 1998) – ist inzwischen unumstritten, dass sich Spracherwerb als Prozess der<br />

Wechselwirkung zwischen angeborenen Voraussetzungen <strong>und</strong> sozialen Einflüssen vollzieht.<br />

Jedes Kind bringt bei seiner Geburt das gesamte Rüstzeug <strong>mit</strong>, das es zum Spracherwerb benötigt<br />

(sieht man <strong>von</strong> den Ausnahmefällen spezieller Erkrankungen einmal ab). Da<strong>mit</strong> sich ein<br />

Kind aber konkrete Sprache aneignen kann, muss es in einen intensiven Kontakt <strong>mit</strong> den Menschen<br />

<strong>und</strong> Dingen in seiner Umwelt treten.<br />

Zunächst gewinnt das Kind seine Sprache primär <strong>von</strong> den Personen seiner engsten Umgebung,<br />

also der Familie im weiteren Sinne. Mit zunehmender körperlicher <strong>und</strong> geistiger Entwicklung<br />

macht es sich die außerfamiliale Lebenswelt <strong>und</strong> die weitere Objektwelt für die Sprachaneignung<br />

zunutze. Sprachaneignung, zunehmende physische <strong>und</strong> intellektuelle Mobilität <strong>und</strong> der weitere<br />

Ausbau sprachlicher Möglichkeiten stehen dabei in einem komplexen Wechselverhältnis. Mit<br />

dem Gewinn an Unabhängigkeit vom engsten familialen Kontext geht die Aneignung immer<br />

weiter entfalteter sprachlicher Mittel einher <strong>und</strong> <strong>mit</strong> der Komplexität des zur Verfügung stehenden<br />

Sprachvermögens wächst die Unabhängigkeit des Kindes – also erneut seine Möglichkeit,<br />

sich einen immer größeren Ausschnitt seiner Umwelt für die Sprachaneignung zu erschließen.<br />

Psycholinguistische Forschung belegt, dass sich das Kind durch sein praktisches Tun <strong>und</strong> seine<br />

geistigen Handlungen die eigene nervliche Organisation letztlich selbst herstellt. Die angeborenen<br />

Dispositionen zum Aufbau intellektueller <strong>und</strong> sprachlicher Kompetenz entwickeln sich also<br />

entscheidend durch die eigenen Aktivitäten des Kindes.<br />

Im Verlauf der ersten Sprachaneignung kommt es zum zunehmenden Besitz <strong>von</strong> syntaktisch<br />

gegliederter Rede; zugleich wächst die Fähigkeit, Bedeutungen zu differenzieren. In dieser Phase<br />

lässt sich das Wechselverhältnis <strong>von</strong> Anlage, Umwelt <strong>und</strong> eigenen Aktivitäten des Kindes gut<br />

beobachten. In seiner allerersten Lebenspraxis ist das Kind auf den direkten Zusammenhang <strong>von</strong><br />

Verständigungs<strong>mit</strong>teln <strong>und</strong> ihren Bedeutungen angewiesen. In dem Maße aber, in dem das Kind<br />

an Beweglichkeit gewinnt, wächst auch seine Fähigkeit, vom un<strong>mit</strong>telbar gegebenen, eindeutigen<br />

Kontext einer Äußerung zu abstrahieren. Es erfährt <strong>und</strong> benötigt nun auch komplexere Äußerungsformen,<br />

die ihm helfen, Situationen, Gefühle oder Handlungen zu deuten <strong>und</strong> zu bewerten.<br />

In diesem Prozess vollzieht sich nicht nur der Zugewinn an sprachlichen Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Mitteln im engeren Sinne. Vielmehr entwickelt das Kind allmählich auch das System an kulturellen<br />

<strong>und</strong> sozialen Regeln, Kontextwissen <strong>und</strong> Vorverständnissen, das ihm die Möglichkeit der<br />

Teilhabe an den Konventionen der Kultur- <strong>und</strong> Sprachgemeinschaft verschafft, in die es hineingeboren<br />

wurde.<br />

Die Spracherwerbsforschung hat gezeigt, dass diese generellen Gr<strong>und</strong>lagen zu deutlichen<br />

Differenzen im Ergebnis der Sprachaneignung einsprachig aufwachsender <strong>und</strong> zweisprachig<br />

aufwachsender Kinder führen. Beim einsprachig aufwachsenden Kind geschieht der Prozess der<br />

Sprachaneignung in einer im weiteren Sinne sprachhomogenen Situation. Zwar gibt es auch hier<br />

Verschiedenheit im sprachlichen Umfeld, beispielsweise durch unterschiedliche persönliche,<br />

soziale oder dialektale Varianten der Familiensprache. Auch erlebt das Kind eine Bandbreite <strong>von</strong><br />

Stilen, Lebenslagen, Traditionen in seiner Umgebung. Dennoch weist das sprachliche Repertoire<br />

im weiteren Sinne, dessen Einfluss dieses Kind genießt, einen sehr großen Bestand an Gr<strong>und</strong>gemeinsamkeiten<br />

auf. Daher können sich einsprachig aufwachsende Kinder vergleichsweise<br />

mühelos in ihrer sprachlichen Umwelt für die eigene Sprachaneignung bedienen. Beim Kind, das<br />

in einer Dialektumgebung aufwächst, kann - je nach Grad der Distanz zwischen Dialekt <strong>und</strong><br />

Standardsprache - tendenziell auch <strong>von</strong> zweisprachigem Aufwachsen die Rede sein.<br />

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