08.12.2012 Aufrufe

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Jörn Rüsen<br />

Was ist Tradition?<br />

Tradition ist eine Frage der historischen Kultur. Nahezu alle Gruppen, Länder,<br />

sogar ganze Zivilisationen haben ihre besonderen Traditionen und legen<br />

großen Wert darauf, sie zu kultivieren. Tradition wird sichtbar in Monumenten,<br />

in Gebäuden, in Straßennamen, in Museen, in Lehrbüchern, in öffentlichen<br />

Reden und in vielen anderen Formen öffentlicher Präsentation.<br />

Gemeinsames Ziel dieser Repräsentationen ist es, zu bekräftigen, dass man<br />

sich an etwas gebunden fühlt, das in der Vergangenheit geschah und für<br />

die Zukunft normative Bedeutung hat. Nationen zelebrieren den Tag ihrer<br />

Gründung; die damit verbundenen Feierlichkeiten bestätigen zumeist, dass<br />

die Menschen sich heute jenen Normen und Werten verpflichtet fühlen, die<br />

in dem seinerzeit neu gegründeten politischen System Realität geworden<br />

sind. Weit verbreitet sind Werte wie „Unabhängigkeit“ und „Freiheit“;<br />

indem Menschen sich gemeinsam daran erinnern, wie diese Werte in ihre<br />

Form des Zusammenlebens, ihre gesellschaftliche Formation, aufgenommen<br />

wurden, werden sie von den Menschen gegenwärtig – und erfolgreich –<br />

als Tradition wiedergegeben.<br />

Tradition ist die Idee einer unveränderlichen Essenz in den ansonsten wechselhaften<br />

Bedingungen und Umständen des Lebens. Tradition steht nicht<br />

nur für Kontinuität, sondern trägt die Dimension des ewig Gültigen in sich.<br />

Ein simples Beispiel aus dem Alltag internationaler Werbekampagnen:<br />

Mitsubishi wirbt für sein Hochtechnologieprodukt „Automobil“, indem der<br />

Konzern sich auf die alte Tradition japanischer Handwerksperfektion bei<br />

der Herstellung von Samuraischwertern bezieht. „Der Geist der Perfektion“<br />

weht als unveränderte Tradition durch die jahrtausendealte japanische<br />

Geschichte bis zu den neuesten Automodellen von Mitsubishi.<br />

Anerkannte Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind gleichzeitig<br />

empirisch und normativ; sie sind darüber hinaus spezifisch für einzelne<br />

Nationen oder Gruppen. Daher unterscheiden sie sich substanziell voneinander.<br />

Sie spielen eine wichtige Rolle im kulturellen Leben, hauptsächlich als<br />

Grundlage für allgemein akzeptierte Prinzipien. Auf ihnen basiert das<br />

110<br />

Tradition und Identität<br />

Theoretische Reflexionen und<br />

das europäische Beispiel<br />

Im Übrigen mag das Wesentliche einer Tradition,<br />

ihre letzte Rechtfertigung darin bestehen,<br />

in dem Moment, wo kein Ausweg, keine Zuflucht mehr erkennbar sind,<br />

Trost zu spenden, ein Stückchen Traum,<br />

einen kurzen Augenblick der Illusion herbeizuzaubern.<br />

Saul Friedländer<br />

Gefühl, dass man im täglichen und im öffentlichen Leben<br />

die gleichen Haltungen teilt und sich an gemeinsame Grundregeln<br />

halten sollte. Menschen sind daher sehr bemüht, ihre<br />

gemeinsamen Traditionen immer wieder zu bestätigen.<br />

Traditionen sind deshalb immer Gegenstand kultureller Aktivitäten<br />

und kommunikativer Strategien, die sie lebendig und<br />

wirkungsvoll halten sollen.<br />

Man kann vier Ebenen unterscheiden, auf denen Tradition<br />

und ihre Wirkungsweise sichtbar wird:<br />

(1) Die grundlegende Ebene ist die der „unbewussten Dispositionen<br />

und Determinierungen“ des täglichen Lebens. Hier<br />

erscheint und wirkt Tradition als Selbstverständlichkeit.<br />

(2) Auf der Ebene der „alltäglichen Kommunikation“ werden<br />

selbstverständliche Traditionen zur Diskussion gestellt und<br />

auf neue und ungewöhnliche Situationen angewendet.<br />

(3) Diese „reflektierende Legitimation“ von Tradition findet<br />

auch noch auf einer anderen Ebene statt, nämlich dort, wo<br />

Formen des Zusammenlebens normativ verhandelt werden.<br />

Tradition wird dort reflektiert, kritisiert, legitimiert, Vergleichen<br />

unterzogen und schließlich sogar verändert. Obwohl<br />

Menschen zumeist denken, dass Tradition etwas Unveränderliches<br />

und Festes sei, ist sie dennoch Weiterentwicklungen<br />

und Veränderungen unterworfen.<br />

(4) Auf einer anderen Ebene erscheint Tradition als allgemein<br />

akzeptierter Gegenstand offizieller Gedenkfeiern. Hier ist<br />

sie ein fest etabliertes und machtvolles Element historischer<br />

Kultur, das man als „explizite Selbstverständlichkeit einer<br />

verpflichtenden Vergangenheit“ bezeichnen könnte. Im akademischen<br />

Diskurs wird dies als „kulturelles Gedächtnis“<br />

bezeichnet (Assmann, J. 1992; Assmann; J. 1995; Assmann,<br />

A. 1999).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!