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5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Phänomen 2: privat – öffentlich, öffentlich – privat<br />

Die Ausbreitung von außerfamiliären und temporären<br />

Gemeinschaften hat umgekehrt das Private verändert, das<br />

nun auch kollektive Formen annehmen kann. In den Privatraum<br />

dringt elektronische Öffentlichkeit, die Privates als<br />

öffentliche Angelegenheit inszeniert. Intime Probleme<br />

erscheinen am Bildschirm als kollektives Schicksal, das –<br />

medial zubereitet – sich zum emotionalen Globalkitt verdichtet.<br />

Der privat-öffentlichen stehen öffentlich-private Formen<br />

elektronischer Öffentlichkeit gegenüber. Ein Beispiel dafür<br />

ist eine Fußballsendung in Italien, die als Alternative zum<br />

Pay-TV entstanden ist. Sie hat unerwartet hohe Einschaltquoten<br />

eingespielt, was man zunächst auf die unentgeltliche<br />

Übertragung des Spiels zurückgeführt hat. Doch der<br />

eigentliche Grund war ein anderer.<br />

Bei der sonntäglichen Live-Übertragung sieht man nicht das<br />

Spiel, sondern einen aufgeregt kommentierenden, permanent<br />

schreienden Reporter, der – immer nahe am Herzinfarkt<br />

– von einer blonden Assistentin regelmäßig zu besänftigen<br />

versucht wird. Die wirkliche Attraktion der Sendung ist<br />

die Herausforderung, eigene Deutungsarbeit leisten zu müssen<br />

bzw. dies zu dürfen. Die Rede über das Spiel kann nämlich<br />

wichtiger sein als das Spiel selbst. Das Unsichtbare lässt<br />

viele Deutungen zu, so dass Spiele im Spiel entstehen.<br />

Im Zusammenhang mit Literatur und Kunst haben Roland<br />

Barthes, Michel Foucault und Umberto Eco schon früh auf<br />

den Rollenwechsel zwischen Autor und Leser hingewiesen.<br />

Die postavantgardistische These besteht darin, dass ein<br />

Werk erst durch Deutung vollendet wird. Ähnliches meint<br />

der gängige Begriff „Interaktion“. Er bezeichnet in kommunikativer<br />

wie kultureller Hinsicht ein strukturierendes und<br />

vor allem konstitutives Element von Öffentlichkeit, nicht nur<br />

im Fußball, sondern auch in der modernen Kunst, in der<br />

digitalen Spielewelt, nahezu überall.<br />

Phänomen 3: Reproduktionen von Reproduktionen<br />

Die Medialisierung der Alltagswelt schafft auch neue Verhältnisse zu den<br />

Räumen und zu den Landschaften. Was ist ein wirklicher Raum, was ein fiktiver,<br />

was ein virtueller? Welche Landschaft ist natürlich, welche künstlich?<br />

Auf den Werbetafeln von Marlboro sind die Rocky Mountains abgebildet.<br />

Es handelt sich dabei um die atmosphärische Nachahmung einer Filmszene<br />

aus „Wyatt Earp“, also um die Reproduktion einer Reproduktion.<br />

In den 1990er <strong>Jahre</strong>n ist auch ein Architekturgenre entstanden, das sich an<br />

den Arbeitsweisen der globalen Werbebranche orientiert: Die mediale Wirkung<br />

ist wichtiger als das reale Objekt. Das Guggenheimmuseum in Bilbao<br />

war 1997 das erste Beispiel dieses Genres. Das Gebäude wurde als eine einzigartige<br />

Form für den globalen Bildschirm entworfen, als medialer „Oberflächenknall”<br />

und heiteres Architekturerlebnis.<br />

Was für die Werbung und ihre Wirkmechanismen gelten mag, trifft für die<br />

Architektur allerdings nur bedingt zu: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit<br />

hat dort ihre eigenen Gesetze. Die Entmaterialisierung von Objekten und<br />

Produkten suggeriert zwar, dass alles machbar und möglich ist, auch eine<br />

Architektur mit Voodoo-Zauber. In Wirklichkeit verschleißt sich die Suggestivkraft<br />

aber sehr rasch, so wie die Bilder, welche die Medien durchfluten.<br />

Eine Wiederholung ist nicht möglich; der Zwang, immer das Neue zu finden,<br />

das sich zugleich zerstört, ist eben auch eine (Medien-)falle. In sie ist die<br />

globale Architektur hineingefallen und darin zur „Wurlitzerorgel der Form“<br />

geworden. Für das Tempo der Bilder und die mediale Entmaterialisierung,<br />

die eben auch wörtlich gemeint sind, ist die Architektur offenbar ein ungeeignetes,<br />

viel zu träges Medium.<br />

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