5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW
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Dietmar Steiner<br />
Architektur vom Nullpunkt<br />
Man stelle sich vor, es gäbe gar keine Kunst der Architektur und auch nicht<br />
ihre Geschichte. Würde uns etwas fehlen? Möglicherweise. Möglicherweise<br />
aber auch nicht. Eine ganze, sich angeblich mit Architektur beschäftigende<br />
akademische Kaste wäre ganz einfach nicht vorhanden. Und auch die Profession<br />
der Architekten selbst wäre bloß in ein allgemeines Baugeschehen<br />
eingegliedert. Architektur als Begriff verbliebe im allgemeinen Sprachgebrauch<br />
bei der Architektur der Europäischen Gemeinschaft, bei der Architektur<br />
von Unternehmensstrukturen oder der Architektur von Computern.<br />
Man stelle sich also vor, es gäbe keine Architekturgeschichte, keine Architekten,<br />
keine Architekturstudierende. Niemand studiert, niemand sammelt,<br />
niemand archiviert Architektur. Eine unvorstellbare Vorstellung?<br />
Möglicherweise. Aber dennoch, und davon bin ich überzeugt, würde Architektur<br />
entstehen. Denn irgendjemand, der nie von Architektur gehört, der<br />
das Wort nicht kennt und nicht das Metier, irgendjemand würde etwas<br />
bauen, das eben mehr als bauen ist.<br />
Architektur entsteht, irgendwo, irgendwann, und niemand kann sie verhindern.<br />
Architektur ist immer da. Aber von Zeit zu Zeit muss man das Metier,<br />
in dem man sich befindet, einfach wieder einmal vom Nullpunkt an denken.<br />
Das ist eine Frage, die sich jenen, die sich im Metier befinden, nur sehr<br />
selten stellt. Denn sie leben ihre Rollen, müssen allein schon zur Rechtfertigung<br />
ihrer Existenz an die Existenz von Architektur glauben. Ob jedenfalls<br />
Architektur eine eigenständige künstlerische Disziplin ist oder sein soll, will<br />
ich jetzt einfach als Frage und Behauptung so stehen lassen. Schließlich hatte<br />
schon der österreichische Volksschauspieler Hans Moser in „Hallo Dienstmann“<br />
den legendären Satz genuschelt: „Auf gebaut kommt’s nicht an“.<br />
Architektur heute vom Nullpunkt zu denken, ist keine Willkür. Denn die<br />
Architektur befindet sich am Nullpunkt. Warum? Weil sie eine Konjunktur<br />
im öffentlichen, im medialen, im politischen Leben hat wie niemals zuvor.<br />
Niemals zuvor in der Geschichte war Architektur populärer als heute. Und<br />
niemals zuvor gab es so viele Architekten, Architekturstudierende, Architekturmuseen,<br />
-archive, -medien. Aber niemals zuvor konnten wir uns darüber<br />
so wenig verständigen, was überhaupt zur Architektur gezählt werden soll,<br />
wie heute!<br />
72<br />
Was Architektur zur Kultur beiträgt<br />
Als die Architektur noch Ideologie war<br />
Die Nachkriegszeit in Europa lebte von den Modernitätsversprechungen<br />
des Wiederaufbaus. Architektur war ein Mittel<br />
zur Überwindung des Faschismus, der gleichgesetzt wurde<br />
mit allen formalen Traditionalismen. Architektur war ein<br />
Minderheitenprogramm der kulturellen Avantgarde, das<br />
sich aber gutgläubig mit der entwickelten Bauindustrie verband.<br />
In den sechziger <strong>Jahre</strong>n opponierte dagegen die utopische<br />
und politisierte architektonische Avantgarde, schon<br />
affirmativ bereit für die neue Popkultur. Ein wenig bedenklich<br />
vielleicht, dass fast alle Stars von damals es bis heute<br />
geblieben sind. Aber Architektur ist eben eine langdauernde<br />
Kunst, auch biographisch.<br />
Dann kam Anfang der siebziger <strong>Jahre</strong> der Paradigmenwechsel,<br />
der Modernitätsbruch: Die Wiederentdeckung des Urbanen,<br />
des Regionalen und der Geschichte mit der Postmoderne,<br />
aber auch als Nachschein der Sehnsucht der Studentenrevolte<br />
nach dem wirklichen Leben die Entdeckung und Verwandlung<br />
des Alltäglichen. Die Zukunft blieb auch in den<br />
achtziger <strong>Jahre</strong>n gebrochen. Ridley Scotts „Blade Runner“<br />
zeigte uns erstmals, dass auch in ferner Zukunft nicht alles<br />
neu gebaut sein wird. Im Besichtigungsbus der Internationalen<br />
Bauausstellung Berlin erzählten Senatsbeamte mit säuerlicher<br />
Miene von den großen Fortschritten im Zeilenwohnungsbau<br />
der sechziger <strong>Jahre</strong>, als den Menschen Licht, Luft<br />
und Sonne geboten wurde, und bedauerten eigentlich, dass<br />
heute die ausländischen Stararchitekten wieder die alte<br />
enge Stadt bauen wollen.<br />
Jawohl, es war schön und spannend, in den sechziger, siebziger,<br />
und auch noch in den achtziger <strong>Jahre</strong>n, als mit Argumenten<br />
und Verleumdungen um die richtige oder falsche<br />
Architektur gekämpft wurde, als Positionen mit Theorien<br />
belegt wurden. Es war schön und spannend, aber es war<br />
eine verdammte Insiderdiskussion, der wahrscheinlich nicht<br />
mehr als rund 500 Architekten und Intellektuelle der westlichen<br />
Hemisphäre wirklich folgen konnten und wollten.<br />
Eine akademisch zerstrittene, aber insgeheim verschworene<br />
Gemeinschaft, die den Rest der wirklichen Welt arrogant<br />
ignorierte.