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5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Was ist Identität?<br />

Identität ist die Antwort auf die Frage, wer jemand ist. Diese<br />

Antwort kann durch eine Person, eine Gruppe, eine Nation,<br />

eine ganze Zivilisation gegeben werden. Tatsächlich ist Identität<br />

eine kulturelle Notwendigkeit für jede soziale Einheit<br />

im menschlichen Zusammenleben. Sie ist ein Gefühl und<br />

eine Überzeugung von Zugehörigkeit, von Zusammengehörigkeit;<br />

gleichzeitig ist diese Zugehörigkeit eine Unterscheidung<br />

von anderen. Identität bedeutet nicht unbedingt,<br />

uniform zu sein. Anstatt von Uniformität sollte man vielmehr<br />

von Gemeinschaftlichkeit mit und Verschiedenheit zu<br />

anderen sprechen. Sie ist eine Art verinnerlichter Kohäsion –<br />

oder Kohärenz – in sozialen Beziehungen, eine Frage von<br />

Subjektivität.<br />

Wandel ist eine elementare Herausforderung für Identitätsbildung,<br />

denn Wandel widerspricht dem grundlegenden<br />

menschlichen Bedürfnis nach Beständigkeit und sozialer<br />

Zugehörigkeit (Müller 1987). Deshalb befassen sich Prozesse<br />

der Identitätsbildung immer mit „Zeit“. Sie versuchen, Zeit<br />

eine Form zu geben, in der Identität überleben, bestehen<br />

oder sich entwickeln kann. Das menschliche Selbst erhält<br />

seine Gestalt in einem komplexen Wechselspiel aus Erinnerung<br />

an die Vergangenheit und Projektion in die Zukunft,<br />

indem Vergangenheit im Hinblick auf das Bedürfnis nach<br />

Fortsetzung interpretiert wird.<br />

Historische Identität ist eine äußerst elaborierte Form dieser<br />

gewissermaßen „zeitlichen Gestalt“ des menschlichen<br />

Selbst. Die kulturelle Strategie, diese zeitliche Gestalt des<br />

menschlichen Selbst hervorzubringen, besteht darin, eine<br />

Geschichte zu erzählen. Geschichten, die die Identität der<br />

Menschen in einer zeitlich erweiterten Perspektive erzählen,<br />

bezeichnet man als „Meta-Erzählungen“. Starke Erzählungen,<br />

die die historische Identität der Menschen repräsentieren,<br />

sind aber genauso zerbrechlich wie die menschliche<br />

Identität selbst, sie sind gleichermaßen vom Wandel der<br />

Lebensumstände bedroht und herausgefordert.<br />

Das Wechselspiel zwischen Tradition und Identität<br />

Tradition ist die grundlegende Form, durch die Identität geprägt wird. Die<br />

Menschen werden in ein bestehendes kulturelles System hineingeboren, das<br />

bestimmt, wer sie sind. Und sie haben diese Vorausbedingungen in ihren<br />

mentalen Körpern verinnerlicht, in ihrem Selbst-Sein – als Vermittlungsfeld<br />

zwischen ihren persönlichen Interessen und Zielen auf der einen und den<br />

gesellschaftlichen Ansprüchen und Pflichten auf der anderen Seite. Ohne<br />

eine solche traditionelle Grundlage gibt es keine Identität. Tradition stellt<br />

Identität als selbstverständlich dar, als feste Größe in einer sich verändernden<br />

Welt menschlicher Beziehungen. Um diese Dauerhaftigkeit und Stabilität<br />

des Eigenen geht es auf allen Ebenen, bei denen Tradition eine Rolle im<br />

menschlichen Leben spielt.<br />

(1) Auf der „elementaren Ebene der unbewussten Selbstverständlichkeit“<br />

erhält das menschliche Selbst seine erste Form von Selbstwahrnehmung<br />

und Selbstachtung und die ersten Überzeugungen über Zusammengehörigkeit<br />

und Verschiedenheit zu anderen.<br />

(2) Diese Grundmuster geraten auf der zweiten Ebene in „eine kommunikative<br />

Bewegung“, wenn die Menschen ihre Selbst-Erfahrung interpretieren<br />

müssen – also die Art und Weise, wie ihnen andere begegnet sind und wie<br />

sie mit ihrem Konzept ihres Selbst anderen begegnen.<br />

(3) Auf der dritten Ebene, dort wo „Traditionen explizit thematisiert“ werden,<br />

wird Tradition zum Gegenstand mehr oder weniger systematischer Reflektion.<br />

Die stärkste Form von Kommunikation ist hier die Frage „Wer bin ich?“<br />

oder „Wer sind wir?“– unausweichliche Fragen, weil das menschliche Leben<br />

von Zeit zu Zeit mit einer Situation konfrontiert wird, in der die Stabilität<br />

bestehender Identitätskonzepte radikal herausgefordert, angegriffen und<br />

gefährdet wird.<br />

(4) Auf der vierten Ebene, auf der „obligatorische Modelle und Paradigmen<br />

historischer Identität“ sich etabliert haben, wird Tradition permanent kultiviert,<br />

heraufbeschworen und legitimiert. Dort werden die Ursprünge nach<br />

wie vor gültiger Lebensweisen zelebriert. <strong>Jahre</strong>stage und Jubiläen bestätigen<br />

und festigen die gemeinsamen Wertesysteme und Modelle von Selbst-<br />

Verständnis und historischer Repräsentation.<br />

Meta-Erzählungen und Grundsatzdiskurse über historische Identität finden<br />

auf all diesen Ebenen statt, sie werden jeweils an neue Situationen angepasst,<br />

die durch neue Erfahrungen und Erwartungen gekennzeichnet sind.<br />

Hier ist traditionelle Identität eine Frage von zeitlichem Wandel. Gerade<br />

wenn die Umstände sich ändern, muss sich auch traditionelle Identität verändern,<br />

um die Vorstellung von Stabilität und eine Kontinuität von Verpflichtung,<br />

die sich aus traditioneller Identität ergibt, aufrechterhalten zu<br />

können.<br />

Modernität steht in einem grundsätzlichen Gegensatz zur Idee der unveränderbaren<br />

Gültigkeit von Lebensweisen. Sie betont den Wandel als Voraussetzung<br />

für Kontinuität. Die Kategorie des Fortschritts, die typisch für das<br />

moderne historische Denken und seine Logik ist, widerspricht der Art, wie<br />

historische Identität durch Tradition geformt wird. Aber dennoch ist die<br />

Überzeugung, dass sich die Grundlagen der eigenen Identität nicht verändern,<br />

sondern stabil bleiben, ein machtvolles Element moderner historischer<br />

Kultur. So erhält Tradition ihre spezifischen modernen Formen, z.B. eine<br />

innere zeitliche Dynamik, wenn es um die Darstellung von Stabilität und<br />

Kontinuität geht (Assmann, A. 1999).<br />

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