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5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Carl Fingerhuth<br />

Mein psychologisches Wörterbuch bezeichnet „Pubertät”<br />

als „eine Zeit der Selbstorientierung und Selbstfindung”.<br />

Sie sei verbunden mit einer „Entwicklung von Gefühlen und<br />

Intelligenz”. In der Pubertät werde nach „Zielen und Zwecken<br />

gefragt” und es komme zu einem „Nachdenken über die<br />

Sinnhaftigkeit traditioneller Rollen und Institutionen”. So<br />

scheint mir dieser Begriff hervorragend geeignet, unsere<br />

heutige Situation beim Umgang mit der ständigen Transformation<br />

der Stadt zu beschreiben. Wir erleben eine Zeit des<br />

Nachdenkens über sich verändernde Ziele der Gesellschaft<br />

und müssen neue Instrumente, Methoden und Verfahren<br />

für eine Betreuung dieser Transformation der Stadt finden.<br />

Ich möchte versuchen, dieses Nachdenken zu begünstigen.<br />

Dafür verwende ich „Zeugen”, die von Wahrnehmungen<br />

berichten, die mit meinen Vermutungen übereinstimmen.<br />

Zeuge Nr. 1: der französische Philosoph François Jullien in<br />

seinem im <strong>Jahre</strong> 2002 erschienenem Buch „Der Umweg<br />

über China – Ein Ortswechsel des Denkens”<br />

„Das Denken den Ort wechseln lassen, um andere Arten<br />

von Intelligibilität zu berücksichtigen, um durch einen<br />

Umkehreffekt die Ausgangsbedingungen der europäischen<br />

Vernunft zu hinterfragen”: So beschreibt der französische<br />

Philosoph François Jullien den Sinn seiner zwölfjährigen<br />

Studienzeit in China und Japan. In meinem Buch „Learning<br />

from China” habe ich einen ähnlichen Ansatz gewählt. Ich<br />

habe versucht, mithilfe des Taoismus einen „Ortswechsel<br />

des Denkens” zu vollziehen, um Hinweise für das Betreuen<br />

der Transformation unserer westlichen Stadt zu suchen.<br />

Ich will hier noch einen weiteren Versuch wagen, um den<br />

Diskurs über den Umgang mit der Stadt jenseits der Moderne<br />

zu fördern; wieder mit einem Ortswechsel, dieses Mal aber<br />

nicht in eine fremde Kultur, sondern mit einem Ortwechsel<br />

in Erfahrungsbereiche, die zwar direkt nichts mit der Stadt<br />

zu tun haben, aber mit den gleichen kulturellen Themen<br />

wie die Stadt konfrontiert sind – um auf diese Weise andere<br />

„Arten von Intelligibilität” zu aktivieren. Daraus ergeben sich<br />

Vermutungen für ein erfolgreicheres Betreuen der Stadt jenseits<br />

der Moderne; ich spreche ganz bewusst nicht von<br />

„planen”, sondern von „betreuen”.<br />

116<br />

Von der Pubertät der Stadt<br />

jenseits der Moderne<br />

Und ich rede bewusst provokativ von der Stadt „jenseits der Moderne”,<br />

weil ich überzeugt bin, dass gerade für den Diskurs über die Stadt die klassische<br />

Moderne zu einer schwierigen Altlast geworden ist. Die sogenannte<br />

„Europäische Stadt” gibt es als Residuum, als alte Schicht im geologischen<br />

Aufbau der Stadt. Diese Schicht muss mit Sorgfalt und Respekt behandelt<br />

werden, ohne Zweifel. Sie ist aber im ständigen Prozess der Transformation,<br />

im ständigen Wandel der Stadt heute nur noch beschränkt tragfähig. Und<br />

ihr Hauptproblem besteht darin, dass sie aggressiven Widerstand leistet gegen<br />

Bemühungen, das Denken den Ort wechseln zu lassen, andere Arten von<br />

Intelligibilität zu berücksichtigen, um durch den von Jullien skizzierten Umkehreffekt<br />

„die Ausgangsbedingungen der europäischen Stadt zu hinterfragen.”<br />

Seit zwei <strong>Jahre</strong>n werde ich zu den Sitzungen des Kölner Gestaltungsbeirats<br />

eingeladen. Ein Haupttraktandum ist immer wieder das neue Stück Stadt,<br />

das am rechten Ufer des Rheins gegenüber dem Dom im Entstehen begriffen<br />

ist. Der Ort wäre eine phantastische Chance, eine neue gemeinsame<br />

„Intelligibillität” zu entwickeln, zumindest zu erproben. Es scheint sich<br />

jedoch vorläufig nicht mehr als eine chaotische Addition autistischer Stadtbausteine<br />

auszubilden. Der Gestaltungsbeirat hatte empfohlen, möglichst<br />

rasch zumindest ein Konzept für den öffentlichen Raum des neuen Stückes<br />

Stadt zu suchen. Der Wettbewerb für die Neugestaltung des Außenraumes<br />

um den Deutzer Bahnhof soll jetzt weiterhelfen. Wenn sich dann aber zeigen<br />

sollte, dass die Messe sich eigentlich nicht für die Qualität des Zugangs zu<br />

ihrem Haupteingang interessiert und dass nach dem Bau des Hochhauses<br />

von Helmut Jahn am Deutzer Bahnhof für die zentrale Fußgängerachse<br />

Dom – Rathaus an dieser Stelle nur noch einige wenige Meter übrig bleiben,<br />

dann werden die Beschwörungen der „Europäischen Stadt” zum reinen<br />

Schlangenzauber.

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