08.12.2012 Aufrufe

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der europäische Vereinigungsprozess ist ein bemerkenswertes<br />

Beispiel für den Versuch, diesen Ethnozentrismus zu<br />

überwinden, der durch traditionelle Konzepte von Nationalität<br />

verkörpert wird. Europäisierung kann nur dann ein<br />

überzeugendes Konzept für eine transnationale Identität<br />

werden, wenn es die zerstörerischen Elemente des exklusiven<br />

Ethnozentrismus überwindet, der die europäische Geschichte<br />

für eine lange Zeit beeinflusst und letztlich in zwei<br />

Weltkriege geführt hat. Historisches Denken kann zu dieser<br />

Überwindung des Ethnozentrismus durch die „Aufnahme<br />

der negativen historischen Erfahrungen in das Selbstbild der<br />

historischen Identität“ beitragen. Dies ist in Europa definitiv<br />

der Fall. Eines der deutlichsten Beispiele, das den deutschen<br />

Ethnozentrismus betrifft, ist die Entscheidung des deutschen<br />

Parlaments, im Zentrum der deutschen Hauptstadt ein<br />

Monument zum Gedenken an die Millionen der von Deutschen<br />

ermordeten Juden zu errichten (Kirsch 2003).<br />

Es gibt Tendenzen in anderen europäischen Nationen, in<br />

denen diese wachsende Ambivalenz in der eigenen Identitätsbildung<br />

ebenfalls beobachtet werden kann. In Schweden<br />

hat eine Studie über die europäische Dimension des Holocaust<br />

bemerkenswerte Resultate hervorgebracht (Karlsson<br />

und Zander 2003; van Vree 2002) und die Nachbarn Deutschlands<br />

haben erkannt, dass es in ihren Ländern bemerkenswert<br />

viel Kollaboration von Nicht-Deutschen mit den Nazis<br />

gegeben hat, ohne die den Nazis das ganze Ausmaß des<br />

Holocaust nicht möglich gewesen wäre.<br />

Aber nicht nur der Holocaust ist eine schwierige und herausfordernde<br />

historische Erfahrung, die aus dem historischen<br />

Selbstbild der Deutschen und ihrer Nachbarn langfristig nicht<br />

exterritorialisiert werden kann, sondern auch der europäische<br />

Imperialismus: Er wird zu einer Bürde in der europäischen<br />

historischen Identität und löst auf diese Weise das traditionelle<br />

westliche Gefühl der Überlegenheit gegenüber nichtwestlichen<br />

Zivilisationen auf. Die Katastrophe des Zweiten<br />

Weltkrieges demonstriert die verheerenden Konsequenzen<br />

exklusiver Formen von Tradition und traditioneller Identität.<br />

Niemand kann vorhersagen, wie erfolgreich die Versuche sein werden, den<br />

tief verwurzelten Ethnozentrismus in den kulturellen Praktiken traditioneller<br />

Identitätsbildung in Europa zu überwinden. Für allzuviel Optimismus gibt<br />

es wenig Anlass: Es ist nicht zu übersehen, dass der Ethnozentrismus als<br />

bedeutendes Element selbst in der akademischen Welt noch nicht ausreichend<br />

reflektiert wurde: Ein einflussreicher Spenglerismus ist in vielen Versuchen<br />

des interkulturellen Vergleichs immer noch gültig. Sehr oft werden<br />

Kulturen oder Zivilisationen als semantische Ganzheiten definiert, die nur in<br />

einer externen Beziehung zueinander stehen. In diesem Fall geht die Idee<br />

der Menschheit nicht über kulturelle Unterschiede hinaus. Vielmehr sollte<br />

sie aber die verschiedenen Traditionen in eine lebendige Kommunikation<br />

führen, in der das Erkennen von Unterschieden eine gemeinsame, alltägliche<br />

Angelegenheit ist.<br />

Der Ethnozentrismus und sein Ansatz, Welt-Kulturen und ihre wechselseitigen<br />

Beziehungen in vergleichenden akademischen Studien zu thematisieren,<br />

widerspricht eigentlich der methodischen Rationalität der Kulturwissenschaften.<br />

Er verstößt grundsätzlich gegen den Anspruch auf Wahrheit, der<br />

für alle gilt, die gemeinsam versuchen, kulturelle Unterschiede zu verstehen<br />

und zu erkennen. Dies geschieht – und das gilt wohl für eine Vielzahl von<br />

Sphären, in denen unterschiedliche Traditionen und Identitäten begründet<br />

werden und in Beziehung zueinander treten – auf der Basis universeller<br />

Gleichheit. Gerade für die akademische Welt sollte ein solcher „Geist der<br />

Vernunft“ selbstverständlich sein.<br />

Übersetzung aus dem Englischen: Heike Reintanz-Vanselow<br />

Literatur:<br />

Assmann, A.: Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer.<br />

Beiträge zur Geschichtskultur Bd. 15. Köln 1999<br />

Assmann, A.: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses.<br />

München 1999<br />

Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen<br />

Hochkulturen. München 1992<br />

Assmann, J.: „Collective Memory and Cultural Identity.“ in New German Critique<br />

No 65. 1995, S. 125-133<br />

Friedländer, S.: Wenn die Erinnerung kommt.<br />

Stuttgart 1979, S. 74f.<br />

Husserl, E.: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins.<br />

herausgegeben von Heidegger, M. (Zweite Auflage) Tübingen 1980<br />

Karlsson, K., Zander, U. (Hg.): Echoes of the Holocaust.<br />

Historical cultures in contemporary Europe. Lund 2003<br />

Kirsch, J.: Nationaler Mythos oder historische Trauer?<br />

Der Streit um ein zentrales „Holocaust-Mahnmal“ für die Berliner Republik.<br />

Beiträge zur Geschichtskultur Bd. 25. Köln 2003<br />

Müller, K. E.: Das magische Universum der Identität. Elementarformen sozialen Verhaltens.<br />

Ein ethnologischer Grundriss. Frankfurt am Main 1987<br />

Rüsen, J.: „Cultural Currence. The Nature of Historical Consciousness in Europe.“<br />

in Macdonald, S. (Hg.): Approaches to European Historical Consciousness:<br />

Reflections and Provocations. Hamburg 2000, S. 75-85<br />

van Vree, F.: „Auschwitz and the Origins of Contemporary Historical Culture.<br />

Memories of World War II in a European Perspective.“<br />

in Pok, A., Rüsen, J., Scherrer, J. (Hg.): European History: Challenge for a Common<br />

Future. Eustory Serie, Shaping European History Bd. 3.<br />

Hamburg 2002, S. 202-220.<br />

113

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!