08.12.2012 Aufrufe

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Dirk Haas<br />

Im europäischen Kontext gilt das Ruhrgebiet als einzigartiges Konglomerat<br />

aus verstädterten Territorien, großmaßstäblichen Infrastrukturen und posturbanen<br />

Wildnissen, als ein Typus städtischer oder besser: stadtregionaler<br />

Entwicklung, der mit der feudal-bürgerlichen Tradition der Europäischen<br />

Stadt nur wenig gemein hat. Der vermeintliche Wirrwarr an Nutzungen,<br />

Funktionen und Identitäten, die Vielzahl von Grenzen, Übergangsräumen,<br />

blinden Flecken und oszillierenden Zuständigkeiten, die versteckte Dichte –<br />

ganze Generationen von Ruhrgebietsplanern haben hier in guter Absicht<br />

Raumordnung zu betreiben versucht und sich dabei zumeist an traditionellen<br />

Stadt-Vorstellungen orientiert.<br />

Mittlerweile ist die alte Sehnsucht nach eindeutiger Ordnung, die das Ruhrgebiet<br />

immer als defizitären Raum begreifen musste, einem neuen „poetischen<br />

Realismus” gewichen. Dieser Realismus anerkennt, dass sich das<br />

Ruhrgebiet nach anderen Parametern vermisst: Pluralität statt Einheit, Heterogenität<br />

statt Einheitlichkeit, Hybridität statt klarer Identitäten, Komplexität<br />

statt Einfachheit, Brüche statt Kontinuität. Das sind, so bezeichnen es die<br />

Kulturwissenschaften, die Parameter der Zweiten Moderne. Insofern ist das<br />

Ruhrgebiet für viele grundsätzliche Zukunftsfragen ein viel versprechendes<br />

Experimentierfeld, eine Avantgarderegion wider Absicht. Im Jahr 2010 will<br />

sich diese Region folgerichtig als eine Europäische Kulturhauptstadt ganz<br />

neuen Typs präsentieren.<br />

Die Einsicht, sich angesichts der strukturellen Besonderheiten der Region<br />

von idealisierten Stadt-Vorstellungen befreien zu müssen, fällt zusammen<br />

mit einem generell wachsenden Interesse an der Regionalisierung des Städtischen<br />

und den daraus resultierenden Konsequenzen für die stadtplanerische<br />

und baukulturelle Praxis, und zwar nicht nur im Ruhrgebiet und seinen<br />

zyklisch wiederkehrenden Ruhrstadt-Debatten, sondern im gesamten europäischen<br />

Raum. Im Fokus steht eine andere Form der europäischen Stadt,<br />

die der „Europäischen Agglomeration”. Für die bislang eher an traditionellen<br />

Stadtbildern orientierte Idee der Europäischen Kulturhauptstadt wäre<br />

die Vergabe des Titels an das Ruhrgebiet also ein wichtiger und längst überfälliger<br />

Blickwechsel, wenn künftig von der Zukunft des Städtischen in Europa<br />

die Rede ist.<br />

Die Gestaltbarkeit regionaler Stadtlandschaften ist deshalb ein zentrales<br />

Thema im Bewerbungskonzept der Ruhrgebietsstädte zur Europäischen Kulturhauptstadt.<br />

Im Programmfeld „Stadt der Möglichkeiten” werden verschiedene<br />

Leitprojekte und Schauplätze entwickelt, die richtungweisende<br />

38<br />

Hauptstadtplanungen<br />

Werkstattgespräche zur Bewerbung des<br />

Ruhrgebiets als Kulturhauptstadt Europas 2010<br />

Ansätze zur Gestaltung einer regionalen Europäischen Kulturhauptstadt<br />

verfolgen und erproben sollen. Wie es gelingen<br />

kann, das weitläufige und unübersichtliche Ruhrgebiet<br />

zu einer atmosphärisch dichten Erlebnislandschaft zu entwickeln,<br />

dazu hat das Europäische Haus der Stadtkultur<br />

gemeinsam mit dem Bewerbungsbüro „Kulturhauptstadt<br />

Europas 2010: Essen für das Ruhrgebiet” ein öffentliches<br />

Forum und zwei Werkstattgespräche durchgeführt, die im<br />

Februar und November 2005 im stadt.bau.raum in Gelsenkirchen<br />

stattfanden.<br />

Die Veranstaltungen haben Akteure und Experten aus den<br />

Bereichen Kultur, Architektur, Planung, Design, Wirtschaft,<br />

Verkehr und Tourismus zu einem überraschend engagierten<br />

und ergebnisreichen baukulturellen Dialog zusammengeführt:<br />

Inwieweit bedarf das Ruhrgebiet neuer ausdrucksstarker<br />

architektonischer Symbole, neuer ikonographischer<br />

Signaturen, die sich zum einen von dem zum Selbstbild<br />

gewordenen Image eines „Nationalparks Industriekultur”<br />

lösen, zum anderen die ästhetische Mittelmäßigkeit der faktischen<br />

neuen Zentren des Ruhrgebiets (Neue Mitte Oberhausen,<br />

Arena AufSchalke etc.) überwinden? Oder braucht<br />

das zuweilen an-ästhetische Ruhrgebiet nicht viel eher eine<br />

neue Alltagskultur des Bauens, ein neues, zu Anfang vielleicht<br />

noch dissidentes Qualitätsempfinden, das sich nicht<br />

über „große Architektur”, sondern über ungewöhnliche,<br />

experimentelle Praktiken in den eher alltäglichen Bauaufgaben<br />

im Ruhrgebiet entwickeln könnte? In der Diskussion<br />

dieser Fragen sind nicht nur neue Einsichten ob der Notwendigkeit<br />

einer stärker investigativen baukulturellen Forschung<br />

und Praxis entstanden, sondern auch einige konkrete<br />

Projektideen für die Kulturhauptstadt selbst: zum Beispiel<br />

die Idee vom „wohnwagenwerk.ruhr” als einem integrierten<br />

und stadt-ästhetisch doch autonomen Mobilitäts- und Beherbungskonzept<br />

für die Besucher der Kulturhauptstadt<br />

oder das „fliegende Rathaus” als mobiles icon für den mit<br />

der Bewerbung verbundenen Gründungsakt einer neuen<br />

(Kulturhaupt-)Stadt.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!