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5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Nichts ist mehr so wie es ist in der Stadt. Die Stadt verändert<br />

sich und die Stadtgesellschaft weiß nicht mehr so recht, was<br />

anfangen mit ihrem öffentlichen Raum. Infolge des Verlustes<br />

traditioneller städtischer Funktionen befürchten die einen<br />

eine dauerhafte Entleerung des Stadtraums. Andere sorgen<br />

sich gerade um die immer etwas künstlich anmutende neue<br />

Fülle der Städte dank Festivalisierung und eventmäßiger<br />

Aufbereitung, da sie auf lange Sicht eher eine Banalisierung<br />

und Entwertung des öffentlichen Raums befördere. Es werden<br />

Klagelieder einer zunehmenden Ödnis und Verwahrlosung<br />

gesungen und zugleich Hymnen über eine neue Lust<br />

am Stadtraum angestimmt.<br />

Der Stadtplaner, der immer auch Stadtkritiker ist, neigt sich –<br />

je nach Ort und Stimmung – mal der einen, mal der anderen<br />

Seite zu und wäre angesichts der wechselnden urbanen<br />

Szenarien schlicht überfordert, sollte er die Zukunft des<br />

öffentlichen Raums prognostizieren. Es werden wohl – so<br />

viel steht fest – verschiedene Zukünfte sein, abhängig von<br />

Region, Stadtgröße, Nutzung und Kultur. Es gibt genügend<br />

Hinweise darauf, dass konträre Szenarien nebeneinander<br />

existieren und durchaus auch koexistieren werden.<br />

Um das Phänomen des Wandels des öffentlichen Raums<br />

besser in den Blick zu bekommen, ist es hilfreich, den Blickwinkel<br />

zu erweitern: Denn in dem Maße, in dem mit der<br />

gestiegenen Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen<br />

die existentielle Angewiesenheit auf die räumliche<br />

Nähe der Stadt entfiel, hat die Stadt auch ihre historischen<br />

räumlichen Schranken überwunden. Von einer Ortsgebundenheit<br />

urbaner Lebenssituationen im klassischen Sinne<br />

kann heute in der europäischen Stadt nicht mehr gesprochen<br />

werden. Und so wie sich die räumlichen Bindungen<br />

gelockert haben, hat sich auch die Stadtgesellschaft ausdifferenziert<br />

in eine große Zahl von gesellschaftlichen Gruppen<br />

mit differenzierten Lebensstilen und Ansprüchen an den<br />

Stadtraum. Je nach Gruppenzugehörigkeit und Lebensstil<br />

werden heute andere urbane Orte gewählt – Orte, die sich<br />

nicht mehr auf einen Quadranten im Zentrum der Stadt<br />

konzentrieren, sondern sich über die Stadtregionen verteilen.<br />

So haben sich in der heutigen Stadtlandschaft, die zu regionalen<br />

Netzen zusammengewachsen ist, parallele Welten der<br />

Urbanität herausgebildet, die – in ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit<br />

– so eng in den heutigen gesellschaftlichen<br />

Prozessen verankert sind wie die mittelalterliche Stadtgesellschaft<br />

im öffentlichen Raum zwischen Handelsplatz, Rathaus<br />

und Kirche oder das Bürgertum im nachrevolutionären<br />

Frankreich auf der Bühne der städtischen Boulevards.<br />

Es sind Orte, die von der sich häutenden postindustriellen<br />

Stadt zurückgelassen werden, teilweise in Privatbesitz, aber<br />

ohne erkennbare Eigentumsgrenzen; ihre Aneignung ist<br />

informell, offen und ungeregelt. Sie sind vielschichtig zu<br />

lesen und in den heutigen Stadtregionen „mindestens so<br />

wichtig wie die Bemühungen um eine Renaissance der<br />

Bürgerplätze“ (Boris Sieverts). Urbane Ereignisse entstehen<br />

zunehmend außerhalb der Stadträume, die ihnen bisher gewidmet waren,<br />

in Übergangszonen, transitorischen Räumen.<br />

Man könnte diese Form des Stadtlebens auch als urbane Episoden bezeichnen.<br />

Wer an ihnen teilhaben möchte, ihre Orte und Netzwerke nutzen will,<br />

muss ihre Landkarte verstehen, muss ihre codes lesen können. Das Entstehen<br />

einer fast schon subversiven Form der Urbanität entspricht den Lebensgewohnheiten<br />

der Stadtbewohner und der Morphologie heutiger Stadtregionen<br />

möglicherweise mehr als die zusammenhängenden Raumgefüge<br />

der alten Stadt.<br />

Welche Rolle kann ein Landeswettbewerb in dieser unübersichtlichen Situation<br />

spielen? Mit dem mehrstufigen Wettbewerb „Stadt macht Platz – <strong>NRW</strong><br />

macht Plätze“ wurde der Anspruch formuliert, zeitgemäße Antworten auf die<br />

veränderte Bedeutung des öffentlichen Raums zu finden und dabei höchste<br />

Gestaltqualität mit nachhaltigen Nutzungskonzepten zu verbinden. An einigen<br />

charakteristischen Projekten lässt sich der Stand der Dinge dokumentieren:<br />

- Stadtbild.Intervention Pulheim: Über temporäre künstlerische Installationen<br />

werden Nicht-Orte wie ein Parkdeck thematisiert und stadträumliche<br />

Zusammenhänge kenntlich gemacht. Ohne erhobenen Zeigefinger lenkt<br />

die Kunst den Blick auf das urbane Potenzial alltäglicher Orte.<br />

- Rheinbraunplatz Wesseling: Ein ehemaliges Betriebsgelände bietet der<br />

Innenstadt einen neuen Zugang zum Rhein. Zum Wasser orientierte Sitztreppen<br />

bilden den Außenraum für ein neues Bürgerhaus im umgebauten<br />

Werksgebäude. Identität stiftende Elemente der industriellen Nutzung<br />

wie eine Kranbahn sind in die Platzgestaltung integriert.<br />

- Innenstadtplätze Ahaus: Die gestalterische Neuordnung und funktionale<br />

Stärkung der Innenstadt erfolgt durch Platzräume, die unterschiedlichen<br />

Nutzungen entsprechend gestaltet werden. Auf diese Weise wird der<br />

kleinteilige Charakter der Innenstadt gestärkt.<br />

- Bethelplatz Bielefeld: Ein Wettbewerbsverfahren und ein vorgeschalteter<br />

intensiver Beteiligungsprozess sind Kennzeichen der Bemühungen, höchstmögliche<br />

Funktionalität und vor allem Akzeptanz der späteren Nutzer zu<br />

gewinnen.<br />

Die Partizipation gewinnt in der dritten Phase des Wettbewerbs noch stärker<br />

an Bedeutung. Als Beispiel sei die Vorgehensweise der Stadt Münster bei<br />

der Gestaltung des Platzes vor dem Picassomuseum angeführt: Der Platzraum<br />

ergab sich aus einem vor mehreren <strong>Jahre</strong>n durchgeführten städtebaulichen<br />

Wettbewerb. Um zu einer gestalterischen Lösung zu kommen, wurden die<br />

vier Preisträger zu einem mehrtägigen Workshop eingeladen. Als Input dienten<br />

die Ergebnisse eines moderierten Beteiligungsprozesses, in dem eine gut<br />

hundertköpfige Bürgergruppe ihren Vorstellungen über die Zukunft dieses<br />

Stadtraums in Wort, Bild und Modell Ausdruck verliehen hatte. Das Beteiligungsergebnis<br />

ging auch in die Beurteilungskriterien der Jury ein.<br />

Die Lage der Dinge in Sachen öffentlicher Raum hat sich also verändert.<br />

Aus einem sehr scharf gezeichneten Bild des Stadtplatzes mit eindeutig<br />

zugeordneten Bedeutungen und Aufgaben ist eine breite Leinwand geworden,<br />

auf der vielfältige Raumkonstellationen und Nutzungen abgebildet<br />

werden können. Das Panoramabild solcher Plätze und Platzangebote versteht<br />

sich als Möglichkeitsraum. Ob und wie sich Farbe auf ihnen verteilt,<br />

hängt mehr denn je von den Menschen ab, die den Raum nutzen. Je mehr<br />

sie sich dem Stadtraum verpflichtet fühlen, desto klarer wird das Bild.<br />

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