5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW
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öffentlichen Orten in der Stadt etwa 20 Mal pro Tag ins<br />
Visier einer Überwachungskamera. Seit dem Anschlag auf<br />
das World Trade Center ist die alltägliche Überwachungsintensität<br />
im Interesse der öffentlichen Sicherheit noch<br />
gestiegen. Nie zuvor haben wir auf analogen und digitalen<br />
Speichermedien so viele Fährten hinterlassen und nie zuvor<br />
wurden diese Spuren so minutiös aufgezeichnet und ausgewertet<br />
wie heute.<br />
Es ist jedoch keineswegs so, dass die Menschen unter dem<br />
Verlust der Anonymität, unter der Privatisierung des öffentlichen<br />
Raumes oder unter der konstanten Observanz besonders<br />
leiden, stellt der amerikanische Journalist und Schriftsteller<br />
Gundolf S. Freyermuth fest – im Gegenteil: „Surrt die<br />
Kamera in der dunklen Tiefgarage oder vor dem nächtlichen<br />
Bankautomaten in unsere Richtung, fühlen wir uns beschützt.<br />
Die Dienstleistungsunternehmen, die Telefonnummern<br />
von Anrufenden automatisch mit Adresskarteien<br />
abgleichen, schmeicheln unserer Eitelkeit, wenn sie uns mit<br />
unserem Namen begrüßen“ (Freyermuth 1998). Spielbergs<br />
Szenario geht sogar noch einen Schritt weiter. Im Jahr 2052<br />
identifizieren interaktive Reklamebildschirme in öffentlichen<br />
Einkaufspassagen und Plätzen mittels blitzschneller Augenscans<br />
jede Person schon von weitem und richten Ton- und<br />
Bildinformationen gezielt auf den vorbei eilenden Konsumenten<br />
aus. Was einst das Wesen des öffentlichen Raumes<br />
ausmachte, die zufällige, physische Begegnung mit Mitmenschen,<br />
wird durch die perfekte Simulation ersetzt. Der öffentliche<br />
Raum der Zukunft ist sicher, traditionell gestaltet, eigentumsrechtlich<br />
privatisiert und perfekt zugeschnitten auf<br />
unsere persönlichen Bedürfnisse – Traum oder Alptraum?<br />
Wir sind schon heute auf dem besten Wege, den öffentlichen<br />
Raum zur interaktiven Benutzeroberfläche für die<br />
moderne Informations- und Erlebnisgesellschaft umzugestalten.<br />
Eine ganze Industrie widmet sich unter dem Titel<br />
„Public Design“ der Entwicklung neuer, bevorzugt multifunktionaler<br />
Ausstattungsobjekte, Stadtmöblierungselemente<br />
und Informationskonsolen, die weder Fragen noch Wünsche<br />
der Stadtbewohner und -benutzer offen lassen und<br />
ganz nebenbei zur Animation vermeintlich toter öffentlicher Räume beitragen<br />
sollen. Technical toys nennt Steven Spielberg diese Objekte.<br />
Sie sammeln sich heute bevorzugt in jenen öffentlichen Räumen an, die<br />
gemeinhin als zu leblos, zu anonym und zu ungestaltet empfunden werden.<br />
Raummöblierung ist jedoch häufig nichts anderes als hilflose Symptombekämpfung<br />
und kann keine Öffentlichkeit erzeugen. Einseitig, wohnzimmernah<br />
betrieben, leisten sie der Privatisierung des öffentlichen Raumes<br />
sogar in zweifacher Hinsicht Vorschub: Erstens ist ein hoher Möblierungsstandard<br />
in der Erstellung und Pflege mit hohen finanziellen Aufwendungen<br />
verbunden, die die Kommunen so sehr überfordern, dass oft nur Privatisierung<br />
als Ausweg bleibt. Zweitens schränkt übertriebene Möblierung die<br />
Nutzbarkeit öffentlicher Räume so stark ein, dass sie ihrer eigentlichen<br />
Funktion als freie Bühne öffentlichen Lebens nicht mehr gerecht werden<br />
können. Doch genau solcher Bühnen bedarf es – auch in Zukunft.<br />
Entgegen der Vermutung, dass es in Adriaan Geuzes new type of city keine<br />
öffentlichen Parks und Plätze mehr gibt, weil man die Funktionen des Marktes,<br />
der Kommunikation, der Unterhaltung sowie der politischen Willensbildung<br />
effizienter im Cyberspace als im physischen Raum bedienen kann,<br />
schuf West 8 schon vor <strong>Jahre</strong>n in Rotterdam den hypermodernen Stadtplatz<br />
Schouwburgplein. Auch hier gibt es technical toys in beträchtlichen<br />
Abmessungen: individuell steuerbare, 35 Meter hohe Leuchtmasten und<br />
13 lange Sitzbänke am Rand der leicht erhöhten Platzfläche. Diese wenigen,<br />
aber kraftvollen Requisiten sollten die Zuschauer und Akteure zur uneingeschränkten<br />
Bespielung und entspannten Beobachtung der ansonsten wohltuend<br />
leeren städtischen Bühne einladen. Und das hat sich bewährt. Heute<br />
zählt der Platz, entgegen den Prophezeiungen der Kritiker und obschon teilweise<br />
privat finanziert, zu den lebendigsten öffentlichen Räumen der Stadt.<br />
Trotz abwechslungsreicher Fluchtmöglichkeiten ins Netzwerk der public<br />
domains und ungeachtet der zunehmenden, vorwiegend eigentumsrechtlichen<br />
Privatisierung öffentlicher Räume scheint also in der neuen Stadt<br />
noch ein beachtliches Quantum an lebendiger, sozialer und funktionaler<br />
Öffentlichkeit zu existieren. „Die Krise des öffentlichen Raumes ist in Wahrheit<br />
eine Krise des Gemeinwesens“, stellt Hanno Rauterberg treffend fest.<br />
„Der Streit um den öffentlichen Raum ist also in Wahrheit eine Ersatzdebatte,<br />
denn mehr als der Raum die Gesellschaft prägt, prägt die Gesellschaft ihren<br />
Raum“ (Rauterberg 2001). Städtischer Raum kann keine Öffentlichkeit<br />
erzeugen, sondern braucht eine lebendige, urbane Öffentlichkeit von gewisser<br />
Dichte und Vielfalt, für die er als Handlungsrahmen dienen kann. Insbe-<br />
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