5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW
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Udo Weilacher<br />
„George Orwells Prophezeiung wird wahr: nicht im 20. Jahrhundert, sondern<br />
im 21. Jahrhundert“, konstatierte Steven Spielberg (zitiert aus „Deconstructing<br />
Minority Report“, Twentieth Century Fox 2002). Renommierte<br />
amerikanische Experten aus den Bereichen Technologie, Umwelt, Verbrechensbekämpfung,<br />
Medizin, Gesundheit, Soziale Dienste, Verkehr, Computertechnologie<br />
und Stadtplanung lud der amerikanische Regisseur zu einem<br />
dreitägigen think tank nach Venice ein, um am Beispiel von Washington<br />
D.C. darüber nachzudenken, wie die Welt in Zukunft aussehen wird. Dabei<br />
ging es nicht etwa um die weit entfernte, sondern um die vorhersehbare<br />
Zukunft in einem halben Jahrhundert: 50 <strong>Jahre</strong>, in denen sich aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach wohl keine völlig neuen Gesellschaftsformen entwickeln<br />
werden. Interessanterweise wird sich die alte amerikanische Hauptstadt<br />
nach Meinung der Experten in ihrer äußeren Erscheinung kaum verändern,<br />
denn geltende Bauvorschriften verhindern auch in naher Zukunft den Bau<br />
von Wolkenkratzern und das Überbauen vorhandener öffentlicher Parks<br />
und Gärten im zentralen Stadtgebiet. Aber werden noch neue Parks und<br />
Plätze entstehen?<br />
„There is absolutely no need for parks anymore, because the 19th century<br />
problems have been solved and a new type of city has been created“,<br />
behauptete nicht etwa Steven Spielberg, sondern der niederländische Landschaftsarchitekt<br />
Adriaan Geuze vor etwa einem Jahrzehnt (Geuze 1993).<br />
Der Gründer des Rotterdamer Büros West 8 glaubt, dass die Stadtbewohner<br />
schon heute über genügend technische Möglichkeiten verfügen, um sich<br />
ihre individuellen Fluchtwege aus der Stadt in reale oder virtuelle, bevorzugt<br />
exotische Naturbilder zu bahnen. Spielbergs Science-Fiction Film „Minority<br />
Report“ widerspricht dieser These jedoch anschaulich und der Zuschauer<br />
erkennt auch in den zukünftigen, vertikal in die Höhe schießenden Stadtquartieren<br />
jenseits des Flusses Potomac zahlreiche öffentliche, aufwändig<br />
begrünte Freiräume, die sich äußerlich nicht von traditionell gestalteten<br />
Parks und Plätzen unterscheiden, wie wir sie heute schon kennen.<br />
Öffentliche Räume, Gärten, Parks, Plätze und Straßen werden entgegen kulturpessimistischer<br />
Prophezeiungen keineswegs aus dem Bild der Städte verschwinden,<br />
im Gegenteil. Doch gestalterisch entwickeln sie sich offenbar<br />
kaum weiter. Heute werden selbst neue Freiräume in bereits bekannte<br />
Typologien verwandelt, unabhängig von der Frage, ob die dem Industriezeitalter<br />
entstammenden Natur- und Landschaftsbilder dem Leben im 21. Jahrhundert<br />
überhaupt noch angemessen sind, und völlig ungeachtet der Tatsache,<br />
dass die Pflege dieser hübschen Anlagen in Zukunft kaum noch<br />
42<br />
Die Zukunft des öffentlichen Raumes –<br />
Traum oder Alptraum?<br />
öffentlich zu finanzieren sein wird. Wieso also sind Gartengestaltung<br />
und Landschaftsarchitektur in ihrer gestalterischen<br />
Weiterentwicklung gehemmt, während in allen anderen<br />
kulturellen, auch baukulturellen Belangen fieberhaft<br />
nach zeitgemäßen Ausdrucksformen verlangt wird?<br />
Der allgemeine Glaube an die ewig gültigen Gesetze der<br />
„guten“ Natur sitzt tief und unvermindert brennt die Sehnsucht<br />
der Stadtbewohner nach freier Landschaft, die spätestens<br />
seit der Entstehung der dichten europäischen Industriestädte<br />
zum Mythos geworden ist. Darüber hinaus lieben<br />
Architekten und Stadtplaner die Vorstellung von der eindrucksvollen<br />
Bauskulptur, dem prägnanten Stadtkörper auf<br />
neutralem, sprich ungestaltetem, grünem Grund. In Wahrheit<br />
liegt aber die Landschaft längst nicht mehr vor der<br />
Stadt. Die Stadt liegt längst nicht mehr in der Landschaft:<br />
Alles ist Stadt. Alles ist Landschaft. Die überkommenen Klischeevorstellungen<br />
von Landschaft und Natur in der Stadt<br />
erweisen sich aus vielen Gründen als äußerst hartnäckig.<br />
Je dramatischer sich die Städte in den Augen der Gesellschaft<br />
verändern, desto mehr steigt das Verlangen nach traditionellen<br />
Freiraumtypologien, die das sichere Gefühl von<br />
Vertrautheit und beständiger Geborgenheit vermitteln.<br />
Hinter den altbekannten Freiraumkulissen verändert sich das<br />
öffentliche Leben jedoch gravierend, wird stärker kontrolliert,<br />
gesichert und gesteuert. In „Minority Report“, entstanden<br />
nach einer 1956 publizierten Kurzgeschichte von Philip K. Dick,<br />
gibt es keine unüberwachte Privatheit mehr. Der öffentliche<br />
Raum ist gespickt mit Netzhautscannern, die den Menschen<br />
überall und jederzeit identifizieren, ob beim Betreten eines<br />
öffentlichen Gebäudes, dem Benutzen der Metro oder<br />
während der Fahrt im privaten Magnetschwebefahrzeug.<br />
Die Vision von der totalen Überwachung des öffentlichen<br />
Raumes und die damit nach Meinung von Kritikern verbundene<br />
Gefahr restriktiver Nutzungsregulierung – sprich: Privatisierung<br />
des öffentlichen Raumes – scheint keineswegs<br />
übertrieben. Schon vor dem 11. September 2001 geriet der<br />
durchschnittliche Großstädter in Supermärkten, Kaufhäusern,<br />
Hotels, Tiefgaragen, Bahnhöfen und an vielen anderen