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5 Jahre - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Zeuge Nummer 3: der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung in seinem<br />

1928 erschienenem Buch „Psychologische Typologie”<br />

Carl Gustav Jung hat ein Leben lang über den Menschen nachgedacht und<br />

dabei immer wieder auf die Tiefe und Breite seiner Essenz aufmerksam<br />

gemacht. Immer wieder hat er auch vor der Reduktion des Menschen auf<br />

seine Rationalität gewarnt, die, wenn sie übermächtig wird, zum „Schädiger<br />

der Seele” werde. Das Denken, als eines der großen Potenziale des Menschen,<br />

darf die anderen Potenziale nicht ausgrenzen und diskrimieren. Dies<br />

ist die schwierige Seite der Moderne. Es ist auch die schwierige Seite der<br />

modernen Stadt. Die Moderne hat die Stadt demokratisiert, sie hat sich<br />

bemüht, sie zu einer sozialen Stadt zu machen, für ihre ökonomische Entwicklung<br />

günstige Voraussetzungen zu schaffen, die Mobilitätsbedürfnisse<br />

der Menschen zu befriedigen. In der radikalisierten Suche nach den letzten<br />

Grenzen des technisch Machbaren hat sie aber die Emotionalität, die Sinnlichkeit<br />

und die Spiritualität des Menschen nicht mehr ernst genommen.<br />

Nur zusammen geben diese Potenziale des Menschen „dem Ich eine Art von<br />

Grundorientierung im Chaos der Erscheinungen”, so Jung.<br />

Die Emotionalität, die Sinnlichkeit und die Spiritualität des Menschen wurden<br />

in der Moderne privatisiert und diskriminiert. Ihre Reintegration in unser<br />

kollektives Sein und damit auch in die Stadt ist aber mittlerweile zu einem<br />

wichtigen Motiv geworden. Dies zeigt sich bereits mit aller Kraft in anderen<br />

Bereichen unserer Kultur. Wir werden in den Medien – und in der Stadt –<br />

mit einer Flut von sinnlichen und emotionalen, aber zumeist groben Bildern<br />

überschwemmt. Unsere Aufgabe als Gestalter ist es, ihre Energie zu sublimieren.<br />

Die Transformation von Energie auf eine höhere Ebene ist die Essenz<br />

jeder kulturellen Anstrengung. So wie sich sexuelle Lust in Erotik und nicht<br />

in Pornographie darstellen soll, muss aus der banalen und auf Rationalität<br />

reduzierten Stadt wieder eine erotische und komplexe Stadt entstehen.<br />

Sonst wird sie nicht zur Stadt der Menschen unserer Zeit. Diese „Transformation<br />

auf eine höhere Ebene” ist ein Akt der Verfeinerung und Sublimation.<br />

Dazu braucht es im architektonischen Entwurf Sensibilität und Innovation –<br />

Qualitäten, wie sie in Köln zum Beispiel in Bauten von Heinz Bienefeld,<br />

Gottfried Böhm, Arno Brandlhuber, Bernd Kniess oder Peter Zumthor zu finden<br />

sind.<br />

Zeuge Nummer 4: der amerikanische Philosoph Ken Wilber in seinem 1979<br />

erschienenem Buch „Wege zum Selbst”, auf Englisch „No Boundary”<br />

Ken Wilber ist einer der ganz großen Universalgelehrten unserer Zeit. Er versucht<br />

seit vielen <strong>Jahre</strong>n und in vielen Publikationen, die Ansätze von Gebser<br />

und Jung zu vertiefen und sie mit östlichen Weisheitslehren zu verknüpfen.<br />

Er macht immer wieder auf die großen Spaltungen im Bewusstsein des<br />

modernen Menschen aufmerksam: zwischen Körper und Seele, zwischen<br />

Mensch und Erde. Ich bin überzeugt, dass die Reintegration der Spiritualität<br />

des Menschen eine der zentralen Aufgaben unserer Zeit jenseits der Moderne<br />

geworden ist. Es geht um die wieder deutlicher werdene Ahnung von<br />

der Einheit von Körper, Seele und Geist. Weil die gebaute Stadt letztlich die<br />

Transformation gesellschaftlicher Bedürfnisse, Ziele und Träume ist, müssen<br />

auch Emotionalität, Sinnlichkeit und Spiritualität in die Gestalt der Stadt eingebracht<br />

werden.<br />

118<br />

Dies geschieht gegenwärtig auf eine sehr intensive, spezielle<br />

Art und Weise beim Thema Ökologie und Nachhaltigkeit.<br />

Der Diskurs ist aber in erster Linie von Wissenschaftlichkeit<br />

und Verrechtlichung geprägt. Der zentrale Aspekt, nämlich<br />

die Spaltung von gebauter Stadt und Natur – entsprechend<br />

der Spaltung von Körper und Geist, wird in Raumplanung,<br />

Städtebau und Architektur außerordentlich zögerlich angegangen.<br />

Häufig werden ja die Prinzipien der „Europäischen<br />

Stadt” angeführt, wenn etwa in städtebaulichen Konzepten<br />

berühmter Kollegen scharf gezogene Linien die „graue” von<br />

der „grünen” Stadt trennen, wenn im Wohnungsbau aus<br />

ästhetischen Motiven auf private Außenräume verzichtet<br />

werden soll oder mit Bebauungsdichten gearbeitet wird,<br />

die der Natur keinen Raum mehr lassen. So verstanden, ist<br />

die „Europäische Stadt” eine schwierige Altlast im Prozess<br />

zur Überwindung dieser modernen Spaltung von Stadt und<br />

Natur.<br />

Bei der Suche nach städtebaulichen Konzepten für die Voroder<br />

die Zwischenstadt, also dort, wo bis heute nur addiert<br />

und nicht strukturiert worden ist, taucht dieses Verhältnis<br />

von Stadt und Natur jedoch immer häufiger als bestimmendes<br />

Thema auf. Die Entwurfswerkstatt für die Umwandlung<br />

des Areals der Reitzenstein-Kaserne in Düsseldorf war für<br />

mich ein faszinierendes Beispiel für die Suche nach einer zeitgemäßen<br />

Vorstadt-Vision „jenseits der Moderne”. Der 1. Preis<br />

und die Empfehlung zur Weiterbearbeitung ging an das<br />

Stuttgarter Büro Auer und Weber. In ihrem städtebaulichen<br />

Konzept war der Freiraum das bestimmende strukturelle<br />

Element und die vorgesehene Wohnüberbauung wurde wie<br />

ein neues Stück Stadt behandelt. Dahinter steht jener „Ortswechsel<br />

des Denkens”, mit dem die Dogmen der „Europäischen<br />

Stadt” hinterfragt werden: Wie kann eine Neue Vor-<br />

Stadt aussehen, die sich nicht der alten Entgegensetzung<br />

von gebauter Stadt und unbebautem Freiraum bedient?

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