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der aus ihr zu ziehenden Folgerungen hat er nicht nur in dem angeführten Artikel in der „Breslauer<br />
Volksmacht“ festgelegt, sondern auch in einer persönlichen Unterredung gegenüber dem Führer der<br />
Deutschnationalen, dem Staatsminister Hergt, entwickelt. Die Möglichkeit schien gegeben, dass<br />
endlich einmal alle Parteien von den Deutschnationalen bis zu den Mehrheitssozialisten sich in der<br />
entschlossenen Abwehr unerfüllbarer Forderungen zusammenfinden würden. Im Reichstag schienen<br />
die Dinge, nachdem das Ultimatum überreicht worden war, sich in der Tat in jener Richtung zu<br />
entwickeln. Die Aussprache über das Ultimatum im Auswärtigen Ausschuss verstärkte den Eindruck,<br />
dass völlig Unerfüllbares verlangt werde, dass die deutsche Unterzeichnung nutzlos die Ehre des<br />
deutschen Namens opfern und dass der Versuch der Erfüllung des Unerfüllbaren in kurzer Zeit zum<br />
Zusammenbruch führen müsse.<br />
Im letzten Augenblick jedoch trat ein Umschwung ein. Nicht nur die Sozialdemokratie, auch das<br />
Zentrum wurde wankend. Denn der Annahme des Ultimatums Widerstrebenden wurde vorgehalten,<br />
dass durch die Unterwerfung der Einmarsch in das Ruhrgebiet abgewendet und Oberschlesien dem<br />
Reiche erhalten werden könne, dass die Annahme des Ultimatums ein greifbarer Beweis unseres guten<br />
Willens sei, auf den man in den Ententeländern warte, um uns gegenüber eine freundliche,<br />
verständnisvollere Haltung einzunehmen und die im März über uns verhängten „Sanktionen“<br />
rückgängig zu machen. (Anm.: Frankreich besetzte das Ruhrgebiet im Dezember 1922, „um die<br />
Zahlung der Kriegsreparationen in Sachleistungen sicherzustellen“ (Wikipedia); ungeachtet einer<br />
Volksbefragung, die einer Zugehörigkeit zu Deutschland den Vorzug gab, wurde ein Grossteil<br />
Oberschlesiens durch die Weimarer Republik im Juni 1922 an Polen abgetreten.)<br />
Obwohl festgestellt wurde, dass in keinen, dieser Punkte irgendwelche konkreten und greifbaren<br />
Zusicherungen für den Fall unserer Unterwerfung vorlagen, verfehlten die also eröffneten Aussichten<br />
ihre Wirkung nicht; als es am 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Frankfurter Friedens im<br />
Reichstag zur Abstimmung über das Ultimatum kam, wurde mit 220 gegen 172 Stimmen ein Antrag<br />
Müller-Franken-Trimborn angenommen, lautend: „Der Reichstag ist einverstanden, dass die<br />
Reichsregierung die von den alliierten Regierungen in deren Note vom 5. Mai 1921 geforderten<br />
Erklärungen abgibt.“.<br />
Die neue Regierung des Herrn Dr. Wirth machte die „Erfüllung“ zu ihrem Hauptprogrammpunkt. Mit<br />
einem ungewöhnlichen Aufwand großer Worte machte der Reichskanzler vor dem Reichstag und vor<br />
Volksversammlungen Propaganda für das „Erfüllungsprogramm.“ In seiner am 1. Juni 1921 vor dem<br />
Reichstag gehaltenen Programmrede erklärte er namens des Kabinetts, nach außen und innen zeigen<br />
zu wollen, „dass es uns ernst ist mit dem Beginn der neuen Zeit, dass wir unseren Verpflichtungen bis<br />
zum äußersten nachkommen, und durch Arbeit und Leistungen Freiheit und Vaterland erkämpfen<br />
wollen.“ Das Londoner Ultimatum verlangte bis zum 31. Mai 1921 Zahlung einer Milliarde<br />
Goldmark, und zwar entweder in bar oder Golddevisen oder in dreimonatlichen, auf Gold lautenden<br />
deutschen Schatzanweisungen, die von deutschen Großbanken garantiert sein mussten. Schon diese<br />
erste Leistung — darüber waren sich alle Sachkenner einig — überstieg die Kräfte der deutschen<br />
Wirtschaft.<br />
Herrn Dr. Wirth dagegen erschien sie offenbar als ein Kinderspiel. In seiner bereits erwähnten<br />
Reichstagsrede vom 1. Juni 1921 erklärte er: „Auf finanziellem Gebiete ist die bis zum 31. Mai zu<br />
zahlende eine Milliarde Goldmark rechtzeitig trotz der äußerst starken Inanspruchnahme durch<br />
laufende Bedürfnisse und die anderen Ausgaben des Friedensvertrages geleistet.“<br />
Was war damals geleistet worden? — In Golddevisen waren 150 Millionen Goldmark bezahlt; d.h.<br />
nahezu die ganze von der Reichsbank von langer Hand angesammelte Devisenreserve war an das<br />
Garantiekomitee ausgehändigt worden. Für den Rest von 850 Millionen Goldmark hatte der<br />
Reichskanzler und Reichsfinanzminister Dr. Wirth Reichsschatzwechsel mit Fälligkeit vom 31. August