30.03.2020 Aufrufe

E-Paper | Falstaff Magazin Österreich 07/2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

cover / KAPSELKAFFEE<br />

ABGEKAPSELT<br />

Die praktischste Erfindung der Neuzeit oder doch nur ein Geniestreich<br />

der Werbeindustrie? Wenn es um Kaffee aus der Kapsel geht, scheiden<br />

sich die Geister. Soll man umsteigen oder nicht?<br />

TEXT GERALD REITMAYR<br />

PRO<br />

KONTRA<br />

Es ist heute kaum noch vorstellbar,<br />

welchen Qualen der kaffeeliebende Teil<br />

der Menschheit ausgesetzt war, bevor<br />

es Kapselsysteme gab. Bei jeder privaten Einladung<br />

der bange Blick in die Tasse, in Hotels<br />

ein Frühstück ohne den geliebten Kaffeegeschmack<br />

von zu Hause, lange Büro-Meetings,<br />

in denen der Kaffee nur unwesentlich anders<br />

als Spülwasser schmeckte. Nur in Italien,<br />

da gab es an der ersten Tankstelle nach der<br />

Grenze bereits einen Espresso, auf den man<br />

sich die letzten 364 Tage hingefreut hatte.<br />

Heute hat jedes anständige Hotel 40 Euro in<br />

eine Kapselmaschine im Zimmer investiert,<br />

da beginnt der Aufenthalt gleich ganz anders.<br />

Und darum geht’s ja auch: sich darauf verlassen<br />

zu können, dass der Espresso oder Lungo<br />

gut schmeckt. Die Maschinen sind so einfach<br />

zu bedienen, dass die höchste intellektuelle<br />

Anforderung das Auffinden des Einschaltknopfs<br />

darstellt. Das Ergebnis: ein Kaffee, der<br />

optisch, geschmacklich und olfaktorisch die<br />

Erwartungen erfüllt. Und bei allem Verständnis<br />

für das Streben nach Perfektion: Dieses<br />

Ergebnis ist bereits so gut, dass man sich<br />

fragt, warum man einen höheren Aufwand<br />

betreiben sollte. Ohne Kapsel- und Portionssysteme<br />

wäre die Menschheit noch immer im<br />

kaffeetechnischen Mittelalter! Dafür muss<br />

man den Erfindern danken: Sie haben ein<br />

Bewusstsein für besseren Kaffee geschaffen,<br />

für Sortenvielfalt und Qualität.<br />

Das muss man sich einmal ausmalen: Weltweit<br />

werden etwa 12.300 Tassen Kapselkaffee<br />

getrunken – pro Minute. Diese<br />

Zahl haben keine Umweltschützer ausgerechnet,<br />

das sind offizielle Herstellerangaben. Was danach<br />

mit der Kapsel passiert, wissen wir: Wertvolles<br />

Aluminium, mit hohem Energieaufwand hergestellt,<br />

landet nach einem Espresso-Shot auf dem<br />

Müll. Will man dabei mithelfen, diese Schrottberge<br />

weiter aufzutürmen? Wer Kapselkaffee trinkt,<br />

blendet das gern aus. Allerdings muss man fairerweise<br />

sagen: Wer sich eine Siebträgermaschine<br />

um 2000 Euro und mehr gönnt, muss auch die<br />

Stromrechnung dazu bezahlen. Die kleinen Kapselmaschinen<br />

brauchen viel weniger Energie. Und<br />

zumindest in der Schweiz finden sich vielerorts<br />

Rückgabestellen, um leere Alukapseln wiederzuverwerten.<br />

Über die Umweltaspekte lässt sich also<br />

streiten, aber haben Sie schon einmal nachgerechnet?<br />

Wahrscheinlich nicht. Denn Kapselsysteme<br />

laufen nach der Devise »billige Erstanschaffung,<br />

dafür mächtige laufende Kosten«. Der Kilopreis<br />

liegt teils bei mehr als 80 Euro – hübsch kaschiert<br />

durch kleine Designerverpackungen à la Apple.<br />

Die Kunden heben dabei maximal eine Augenbraue.<br />

Es klingt ja auch toll, sich eine »Limited<br />

Edition Grand Cru« zu bestellen, die deutlich besser<br />

schmeckt als der Standard. Die Wahrheit ist:<br />

Der Mensch strebt nach Erfüllung, indem er Fertigkeiten<br />

beherrscht und meistert. Dazu leistet die<br />

trottelsichere Kapselmaschine garantiert keinen<br />

Beitrag – die Siebträgermaschine schon eher.<br />

Fotos: Shutterstock<br />

102 falstaff okt–nov <strong>2019</strong><br />

document7337802909804719174.indd 102 30.09.19 13:29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!