E-Paper | Falstaff Magazin Österreich 07/2019
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cover / KAPSELKAFFEE<br />
ABGEKAPSELT<br />
Die praktischste Erfindung der Neuzeit oder doch nur ein Geniestreich<br />
der Werbeindustrie? Wenn es um Kaffee aus der Kapsel geht, scheiden<br />
sich die Geister. Soll man umsteigen oder nicht?<br />
TEXT GERALD REITMAYR<br />
PRO<br />
KONTRA<br />
Es ist heute kaum noch vorstellbar,<br />
welchen Qualen der kaffeeliebende Teil<br />
der Menschheit ausgesetzt war, bevor<br />
es Kapselsysteme gab. Bei jeder privaten Einladung<br />
der bange Blick in die Tasse, in Hotels<br />
ein Frühstück ohne den geliebten Kaffeegeschmack<br />
von zu Hause, lange Büro-Meetings,<br />
in denen der Kaffee nur unwesentlich anders<br />
als Spülwasser schmeckte. Nur in Italien,<br />
da gab es an der ersten Tankstelle nach der<br />
Grenze bereits einen Espresso, auf den man<br />
sich die letzten 364 Tage hingefreut hatte.<br />
Heute hat jedes anständige Hotel 40 Euro in<br />
eine Kapselmaschine im Zimmer investiert,<br />
da beginnt der Aufenthalt gleich ganz anders.<br />
Und darum geht’s ja auch: sich darauf verlassen<br />
zu können, dass der Espresso oder Lungo<br />
gut schmeckt. Die Maschinen sind so einfach<br />
zu bedienen, dass die höchste intellektuelle<br />
Anforderung das Auffinden des Einschaltknopfs<br />
darstellt. Das Ergebnis: ein Kaffee, der<br />
optisch, geschmacklich und olfaktorisch die<br />
Erwartungen erfüllt. Und bei allem Verständnis<br />
für das Streben nach Perfektion: Dieses<br />
Ergebnis ist bereits so gut, dass man sich<br />
fragt, warum man einen höheren Aufwand<br />
betreiben sollte. Ohne Kapsel- und Portionssysteme<br />
wäre die Menschheit noch immer im<br />
kaffeetechnischen Mittelalter! Dafür muss<br />
man den Erfindern danken: Sie haben ein<br />
Bewusstsein für besseren Kaffee geschaffen,<br />
für Sortenvielfalt und Qualität.<br />
Das muss man sich einmal ausmalen: Weltweit<br />
werden etwa 12.300 Tassen Kapselkaffee<br />
getrunken – pro Minute. Diese<br />
Zahl haben keine Umweltschützer ausgerechnet,<br />
das sind offizielle Herstellerangaben. Was danach<br />
mit der Kapsel passiert, wissen wir: Wertvolles<br />
Aluminium, mit hohem Energieaufwand hergestellt,<br />
landet nach einem Espresso-Shot auf dem<br />
Müll. Will man dabei mithelfen, diese Schrottberge<br />
weiter aufzutürmen? Wer Kapselkaffee trinkt,<br />
blendet das gern aus. Allerdings muss man fairerweise<br />
sagen: Wer sich eine Siebträgermaschine<br />
um 2000 Euro und mehr gönnt, muss auch die<br />
Stromrechnung dazu bezahlen. Die kleinen Kapselmaschinen<br />
brauchen viel weniger Energie. Und<br />
zumindest in der Schweiz finden sich vielerorts<br />
Rückgabestellen, um leere Alukapseln wiederzuverwerten.<br />
Über die Umweltaspekte lässt sich also<br />
streiten, aber haben Sie schon einmal nachgerechnet?<br />
Wahrscheinlich nicht. Denn Kapselsysteme<br />
laufen nach der Devise »billige Erstanschaffung,<br />
dafür mächtige laufende Kosten«. Der Kilopreis<br />
liegt teils bei mehr als 80 Euro – hübsch kaschiert<br />
durch kleine Designerverpackungen à la Apple.<br />
Die Kunden heben dabei maximal eine Augenbraue.<br />
Es klingt ja auch toll, sich eine »Limited<br />
Edition Grand Cru« zu bestellen, die deutlich besser<br />
schmeckt als der Standard. Die Wahrheit ist:<br />
Der Mensch strebt nach Erfüllung, indem er Fertigkeiten<br />
beherrscht und meistert. Dazu leistet die<br />
trottelsichere Kapselmaschine garantiert keinen<br />
Beitrag – die Siebträgermaschine schon eher.<br />
Fotos: Shutterstock<br />
102 falstaff okt–nov <strong>2019</strong><br />
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