E-Paper | Falstaff Magazin Österreich 07/2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Fotos: Riedel Glas, Manfred Klimek<br />
Nein. Schauen Sie, die Zahl ist auch gar<br />
nicht wichtig, denn alle Glasformen sind<br />
heute Claus-Riedel-inspiriert. Sie kommen<br />
alle aus der Idee, den Wein zwar nicht zu<br />
verbessern – das können wir nicht –, aber<br />
ihn so auf den Gaumen zu lenken, dass die<br />
Emotion gesteigert wird. Die kleinsten Variationen<br />
führen da zu den unglaublichsten<br />
Ergebnissen. Und die Faszination ist, dass<br />
dieser Effekt nicht individuell ist, sondern<br />
dass alle dieselbe Emotion haben.<br />
Form follows function also.<br />
Ja, genau – für uns muss ein Glas nicht<br />
hübsch sein, zumindest nicht in erster Linie,<br />
sondern es muss funktional sein. Wenn Sie<br />
als Winzer in der Neuen Welt sind, nicht im<br />
Burgund, im Bordeaux oder in der Toskana,<br />
wo Sie auf die Rebsorten verpflichtet<br />
sind, sondern wenn Sie in die Welt hinausgehen<br />
und Geld in die Hand nehmen, dann<br />
untersuchen Sie erst den Boden und entscheiden<br />
dann die Rebsorte. Und dann gibt<br />
es ein Resultat, das viele Konsumenten<br />
insofern ignorieren, als sie alles aus einem<br />
Glas trinken. Und da fängt mein 40-jähriger<br />
Kampf an, den Konsumenten dazu zu<br />
bewegen, nachzudenken, wie sein Return<br />
of Investment beim Wein aussieht.<br />
Sie sprechen vermutlich von Genusswert<br />
als Return of Investment.<br />
Jeder Wein kommt mit einem Preis, mal<br />
größer, mal kleiner. Und wenn man ihn<br />
trinkt, hat man eine Erwartungshaltung, die<br />
wird entweder getroffen oder überboten –<br />
oder man ist enttäuscht. Das Interessante<br />
ist aber, wenn der Wein untrinkbar ist:<br />
Haben Sie dann schon mal jemanden sagen<br />
hören, das Glas sei schuld?<br />
Nein, ganz bestimmt nicht.<br />
Sie würden immer dem Wein die Schuld<br />
geben. Dabei ist das Glas zentral für den<br />
Weingenuss. Wir haben zum Beispiel Säure,<br />
Mineralität und Bitterkomponenten in<br />
einem Wein. Und Frucht. Diese Komponenten<br />
sind balanciert, wenn keine die anderen<br />
dominiert. Das ist die Kunst des Glasmachers:<br />
das, was der Winzer mithilfe des<br />
Rebgartens in die Flasche gefüllt hat, so<br />
zu optimieren, dass Harmonie entsteht.<br />
»Ich dekantiere fast alle<br />
meine Rotweine, auch süßen<br />
Weißwein. Der kleine<br />
Schimmer Schwefel geht<br />
wunderbar weg.«<br />
GEORG RIEDEL Riedel Glas, Kufstein<br />
Die zehnte und elfte Generation ihrer Familie:<br />
Georg Riedel und Sohn Maximilian.<br />
Neulich habe ich eine historische Studie<br />
gelesen, in der stand, dass das durchschnittliche<br />
Weinglas im Lauf der letzten Jahrhunderte<br />
stetig größer geworden sei.<br />
Ich kenne dieses Argument, in England gibt<br />
es sogar Bestrebungen, in der Gastronomie<br />
die Größe der Weingläser zu begrenzen. So<br />
ein Unsinn! Wir machen doch große Gläser<br />
nicht, um eine größere Menge einzufüllen,<br />
die ideale Menge ist immer 100 Milliliter,<br />
unabhängig von der Größe des Glases. Der<br />
Rest ist Resonanzkörper, man bekommt<br />
eine andere Duftentfaltung.<br />
Wie erkenne ich als Laie zu Hause, wie groß<br />
der Kelch sein sollte, den ich auswähle?<br />
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Grünen<br />
Veltliner oder einen Sauvignon ohne Holzkontakt,<br />
der hat zwei Komponenten: Hefe<br />
und Saft. Solch ein Zwei-Komponenten-<br />
Wein benötigt kein großes Glas. Die dritte<br />
Komponente kommt aus dem Fass: die oxidative<br />
Wirkung des Ausbaus plus Toasting.<br />
Und da hört es noch nicht auf. Die malolaktische<br />
Gärung macht den Wein cremig.<br />
Für drei Komponenten brauchen Sie schon<br />
ein etwas größeres Glas. Dann kommt noch<br />
die vierte Komponente, das ist bei Rotwein<br />
der Extrakt aus der Beerenschale. Dafür<br />
nehmen Sie noch mal einen größeren Kelch.<br />
Ein Orange Wine wäre dann nach dieser<br />
Gliederung ein Drei-Komponenten-Wein,<br />
aber ohne Fass und mit Schale?<br />
Bei Orange bin ich kein Fachmann. Sicher,<br />
Georgien … Wenn die Nachfrage da ist,<br />
dann wird es irgendwann auch mal ein<br />
Riedel-Glas »Orange« geben.<br />
Stichwort Karaffen.<br />
Karaffen verwendet man traditionell, um<br />
Sediment zu trennen. Aber wir trinken heute<br />
oft Weine, die sehr reduktiv ausgebaut<br />
sind, die haben einen enormen Gehalt an<br />
schlafender Kohlensäure. Und Kohlensäure<br />
schmeckt sauer. Beim Dekantieren tauschen<br />
Sie Kohlensäure gegen Sauerstoff aus.<br />
Dadurch wird der Wein runder, auch im<br />
Duft anders. Aber nicht jeder Wein profitiert<br />
davon. Und es hängt auch von der persönlichen<br />
Vorliebe ab. Wenn jemand sagt,<br />
ich liebe das Nervige des Cabernets, dann<br />
wird er keinen Cabernet dekantieren.<br />
Dekantieren Sie selbst häufiger Weißoder<br />
Rotweine?<br />
Ich dekantiere fast alle meine Rotweine,<br />
und ich dekantiere süßen Weißwein. Da<br />
versuche ich, den kleinen Schimmer vom<br />
Schwefel wegzunehmen, der geht in einer<br />
Karaffe wunderbar weg.<br />
Beim Thema Süßwein schließt sich die<br />
Frage an: Gibt es eigentlich auch Riedel-<br />
Karaffen für halbe Flaschen?<br />
In der Tat, und zwar ganz neue! Mein Sohn<br />
Max hat eine ganze Serie davon gemacht.<br />
okt–nov <strong>2019</strong><br />
falstaff<br />
65<br />
document8287278555780584120.indd 65 01.10.19 12:45