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E-Paper | Falstaff Magazin Österreich 07/2019

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Fotos: Riedel Glas, Manfred Klimek<br />

Nein. Schauen Sie, die Zahl ist auch gar<br />

nicht wichtig, denn alle Glasformen sind<br />

heute Claus-Riedel-inspiriert. Sie kommen<br />

alle aus der Idee, den Wein zwar nicht zu<br />

verbessern – das können wir nicht –, aber<br />

ihn so auf den Gaumen zu lenken, dass die<br />

Emotion gesteigert wird. Die kleinsten Variationen<br />

führen da zu den unglaublichsten<br />

Ergebnissen. Und die Faszination ist, dass<br />

dieser Effekt nicht individuell ist, sondern<br />

dass alle dieselbe Emotion haben.<br />

Form follows function also.<br />

Ja, genau – für uns muss ein Glas nicht<br />

hübsch sein, zumindest nicht in erster Linie,<br />

sondern es muss funktional sein. Wenn Sie<br />

als Winzer in der Neuen Welt sind, nicht im<br />

Burgund, im Bordeaux oder in der Toskana,<br />

wo Sie auf die Rebsorten verpflichtet<br />

sind, sondern wenn Sie in die Welt hinausgehen<br />

und Geld in die Hand nehmen, dann<br />

untersuchen Sie erst den Boden und entscheiden<br />

dann die Rebsorte. Und dann gibt<br />

es ein Resultat, das viele Konsumenten<br />

insofern ignorieren, als sie alles aus einem<br />

Glas trinken. Und da fängt mein 40-jähriger<br />

Kampf an, den Konsumenten dazu zu<br />

bewegen, nachzudenken, wie sein Return<br />

of Investment beim Wein aussieht.<br />

Sie sprechen vermutlich von Genusswert<br />

als Return of Investment.<br />

Jeder Wein kommt mit einem Preis, mal<br />

größer, mal kleiner. Und wenn man ihn<br />

trinkt, hat man eine Erwartungshaltung, die<br />

wird entweder getroffen oder überboten –<br />

oder man ist enttäuscht. Das Interessante<br />

ist aber, wenn der Wein untrinkbar ist:<br />

Haben Sie dann schon mal jemanden sagen<br />

hören, das Glas sei schuld?<br />

Nein, ganz bestimmt nicht.<br />

Sie würden immer dem Wein die Schuld<br />

geben. Dabei ist das Glas zentral für den<br />

Weingenuss. Wir haben zum Beispiel Säure,<br />

Mineralität und Bitterkomponenten in<br />

einem Wein. Und Frucht. Diese Komponenten<br />

sind balanciert, wenn keine die anderen<br />

dominiert. Das ist die Kunst des Glasmachers:<br />

das, was der Winzer mithilfe des<br />

Rebgartens in die Flasche gefüllt hat, so<br />

zu optimieren, dass Harmonie entsteht.<br />

»Ich dekantiere fast alle<br />

meine Rotweine, auch süßen<br />

Weißwein. Der kleine<br />

Schimmer Schwefel geht<br />

wunderbar weg.«<br />

GEORG RIEDEL Riedel Glas, Kufstein<br />

Die zehnte und elfte Generation ihrer Familie:<br />

Georg Riedel und Sohn Maximilian.<br />

Neulich habe ich eine historische Studie<br />

gelesen, in der stand, dass das durchschnittliche<br />

Weinglas im Lauf der letzten Jahrhunderte<br />

stetig größer geworden sei.<br />

Ich kenne dieses Argument, in England gibt<br />

es sogar Bestrebungen, in der Gastronomie<br />

die Größe der Weingläser zu begrenzen. So<br />

ein Unsinn! Wir machen doch große Gläser<br />

nicht, um eine größere Menge einzufüllen,<br />

die ideale Menge ist immer 100 Milliliter,<br />

unabhängig von der Größe des Glases. Der<br />

Rest ist Resonanzkörper, man bekommt<br />

eine andere Duftentfaltung.<br />

Wie erkenne ich als Laie zu Hause, wie groß<br />

der Kelch sein sollte, den ich auswähle?<br />

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Grünen<br />

Veltliner oder einen Sauvignon ohne Holzkontakt,<br />

der hat zwei Komponenten: Hefe<br />

und Saft. Solch ein Zwei-Komponenten-<br />

Wein benötigt kein großes Glas. Die dritte<br />

Komponente kommt aus dem Fass: die oxidative<br />

Wirkung des Ausbaus plus Toasting.<br />

Und da hört es noch nicht auf. Die malolaktische<br />

Gärung macht den Wein cremig.<br />

Für drei Komponenten brauchen Sie schon<br />

ein etwas größeres Glas. Dann kommt noch<br />

die vierte Komponente, das ist bei Rotwein<br />

der Extrakt aus der Beerenschale. Dafür<br />

nehmen Sie noch mal einen größeren Kelch.<br />

Ein Orange Wine wäre dann nach dieser<br />

Gliederung ein Drei-Komponenten-Wein,<br />

aber ohne Fass und mit Schale?<br />

Bei Orange bin ich kein Fachmann. Sicher,<br />

Georgien … Wenn die Nachfrage da ist,<br />

dann wird es irgendwann auch mal ein<br />

Riedel-Glas »Orange« geben.<br />

Stichwort Karaffen.<br />

Karaffen verwendet man traditionell, um<br />

Sediment zu trennen. Aber wir trinken heute<br />

oft Weine, die sehr reduktiv ausgebaut<br />

sind, die haben einen enormen Gehalt an<br />

schlafender Kohlensäure. Und Kohlensäure<br />

schmeckt sauer. Beim Dekantieren tauschen<br />

Sie Kohlensäure gegen Sauerstoff aus.<br />

Dadurch wird der Wein runder, auch im<br />

Duft anders. Aber nicht jeder Wein profitiert<br />

davon. Und es hängt auch von der persönlichen<br />

Vorliebe ab. Wenn jemand sagt,<br />

ich liebe das Nervige des Cabernets, dann<br />

wird er keinen Cabernet dekantieren.<br />

Dekantieren Sie selbst häufiger Weißoder<br />

Rotweine?<br />

Ich dekantiere fast alle meine Rotweine,<br />

und ich dekantiere süßen Weißwein. Da<br />

versuche ich, den kleinen Schimmer vom<br />

Schwefel wegzunehmen, der geht in einer<br />

Karaffe wunderbar weg.<br />

Beim Thema Süßwein schließt sich die<br />

Frage an: Gibt es eigentlich auch Riedel-<br />

Karaffen für halbe Flaschen?<br />

In der Tat, und zwar ganz neue! Mein Sohn<br />

Max hat eine ganze Serie davon gemacht.<br />

okt–nov <strong>2019</strong><br />

falstaff<br />

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