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E-Paper | Falstaff Magazin Österreich 07/2019

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gourmet / EVENT-CUISINE<br />

Ein Abend im Londoner<br />

»Kitchen Theory« dreht<br />

sich nicht nur ums Essen,<br />

sondern auch um seine<br />

Wechselwirkung mit<br />

anderen Sinnesreizen.<br />

den Adrià-Brüdern in Szene gesetzt, bevor<br />

die Akrobaten des Cirque du Soleil auftreten<br />

– ein Konzept, das durch Toni Mörwald<br />

in Wien und Altmeister Hans-Peter<br />

Wodarz in Berlin auch im deutschsprachigen<br />

Raum kein unbekanntes ist.<br />

FUTURISTISCH VERSUS KLASSISCH<br />

><br />

eine ausführliche Vorstellung der verwendeten<br />

Hauptdarsteller des Abends à la<br />

»Diese Jakobsmuschel hat unser Freund in<br />

Island aus 12 Meter Tiefe getaucht«, bevor<br />

er in den dritten Stock, ins sogenannte<br />

Wohnzimmer, geführt wird. Im bequemen<br />

Lehnstuhl sitzend, kann man sich an einem<br />

Glas Champagner und den ersten<br />

Horsd’œuvres erfreuen, die in einer offenen<br />

Raumküche zubereitet werden. Erst eine<br />

Stunde später geht es wieder einen Stock<br />

tiefer ins eigentliche Speisezimmer. Besonders<br />

hervorgehoben werden die Fischgänge:<br />

Bluefin Tuna mit Yuzu, eine bissfeste,<br />

»natur« angerichtete Languste aus Norwegen<br />

und die handgefischte Jakobsmuschel<br />

mit Daikon-Rettich. Aber so ausnehmend<br />

köstlich die Speisen auch sind, ein bitterer<br />

Nachgeschmack verbleibt dennoch: Bluefin<br />

Tuna ist fast ausgestorben. Schweine und<br />

Lämmer hingegen gibt’s genug auf der<br />

Welt, und daher braucht der Gast beim<br />

Pork mit Blumenkohl und gehobeltem<br />

Trüffel sowie beim Lamm mit Gemüse kein<br />

schlechtes Gewissen zu haben. Bis der Gast<br />

wieder zurück ins Wohnzimmer geführt<br />

wird, zu den Desserts vom Wagen und<br />

einer Zigarre auf der Terrasse, sind dreieinhalb<br />

Stunden vergangen.<br />

Eine vierstündige gastronomisch-multisensorische<br />

Erfahrung offenbart sich in der<br />

Londoner »Kitchen Theory«. Mit Unterstützung<br />

eines Physikprofessors aus Oxford<br />

wird mal blind, mal mit Kopfhörern verkostet.<br />

Es folgen wilde Projektionen und –<br />

nicht zu vergessen – gutes Essen.<br />

Im »Zauo« in Tokio wiederum kommt<br />

der frischeste Fisch auf den Tisch. Denn der<br />

Gast sitzt dabei wortwörtlich mit im Boot<br />

und holt mit der Angelrute sein Seafood<br />

selbst aus dem Pool. Fünf Minuten später<br />

gibt’s Sashimi, dünn aufgeschnitten.<br />

Streetfood auf acht verschiedenen<br />

Wägelchen wird im »Heart« auf Ibiza von<br />

Für die ganz große Erlebnisgastronomie<br />

muss man aber schon größere Wege auf<br />

sich nehmen. »Was der Paul in Shanghai<br />

hingestellt hat, ist wirklich einzigartig«,<br />

sagt Tim Raue, Deutschlands Top-Gastronom.<br />

»Ich hätte so was gern auch in Berlin<br />

gemacht, aber finanziell geht sich das nicht<br />

aus. Sechs Millionen Euro Investition haben<br />

wir kalkuliert – das kann man kaum refinanzieren!«<br />

Auch <strong>Österreich</strong>s Parade-Chef<br />

Heinz Reitbauer kann dem Spektakel beim<br />

Essen einiges abgewinnen. »Junge Leute<br />

wollen was erleben – ich find’s erfrischend,<br />

wenn sich in der Gastro-Szene etwas tut.<br />

Wichtig ist nur, dass vor lauter Kreativität<br />

ringsum nicht die Qualität vergessen wird –<br />

nur witzig allein ist zu wenig!«<br />

Schlussendlich besinnen sich Raue und<br />

Reitbauer zu Recht auf ihre Tugenden. Tim<br />

Raue: »Wir sind ein Essrestaurant, da gibt’s<br />

ein kulinarisches Erlebnis – hoffentlich für<br />

Generationen.« Reitbauer: »Wir sind ein<br />

klassisches Restaurant, wo der Gast und<br />

nicht die Inszenierung wichtig ist!«<br />

Die konservativen Gourmets unter uns<br />

freuen sich, wenn Raue unaufgeregt und<br />

ohne Stockwerkwechsel großartige fernöstliche<br />

Küche auf dem Teller und nicht auf<br />

der Videowand präsentiert. Wenn Heinz<br />

Reitbauer seinen Saibling im Bienenwachs<br />

garen lässt und nicht im Cola. Und wenn<br />

da wie dort niemand auf dem Brotwagen<br />

einen Handstand macht. Denn gute Küche<br />

zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass<br />

sie gut schmeckt. Auch ohne Firlefanz. <<br />

Fotos: John Blackwell, beigestellt<br />

158 falstaff okt–nov <strong>2019</strong><br />

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