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Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2004 - Ljudmila

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Brigitte Kronauer<br />

verhaltener Ironie auch aus der männlichen Sicht und über Lebensentwürfe,<br />

-erfahrungen und -geschichten von Männern (Schnurrer, Berittener<br />

Bogenschütze, Das Taschentuch). Diese alle narrativen Spiralen durchziehende<br />

Ironie, diese manchmal kaum deutliche, leise Ver-rückung der<br />

Vermittlungsprozesse, lässt die Lesenden durch die Texte gleiten,<br />

ermöglicht ihnen jedoch auch, den Ansturm von Kronauers ausufernden<br />

Bilderfluten, der in Emphase und empathischer Selbstentrückung sich<br />

darstellenden Figuren, Stand zu halten.<br />

Dies ist umso notwendiger, da die Intensität der Sinnlichkeit von Brigitte<br />

Kronauers Welten zuweilen überwältigend wirkt: Sie, die Wahrnehmungsvirtuosin,<br />

eröffnet uns in akribisch verfremdender Manier atemraubende<br />

Ein-blicke in meist Alltägliches, Banales. Als gingen im Dunkel täglich<br />

erfahrener Gewöhnlichkeit Lichter an, die Zusammenhänge und Details –<br />

in vielfacher Vergrößerung – in magischer Beleuchtung sichtbar machten;<br />

für die Lesenden eine Bewusstseinserweiterung und Erfahrung neuer alter<br />

Welten, wiewohl die Entdeckerfreuden mit harter Lesearbeit gewürzt sind,<br />

der Genuss sich jedoch durch wiederholte Lektüre steigert. Kronauers<br />

Kunst, mittels literarischer Suggestion, im Gewohnten das Ungewohnte<br />

aufzuspüren, die Alltäglichkeit als Nichtalltäglichkeit zu konstruieren, ihre<br />

erstaunliche und ins Staunen versetzende Beobachtungsgabe resultiert<br />

jedoch aus einem tiefen Misstrauen, einem Argwohn gegenüber<br />

vorgefertigten Wirklichkeitsdarstellungen. Bereits als Kind habe sie deren<br />

Bemächtigungsstruktur erfahren; sie erlebte, dass die Geschichten, die ihr<br />

die Erwachsenen erzählten, ihre eigenen Wahrnehmungen modellierten,<br />

auch auffraßen! 3 Infolgedessen beschäftigte sie seit Beginn ihrer Schreibansätze<br />

am meisten die Machbarkeit von Realität. 4 Denn das, was der<br />

Leser für die Realität hält, ist ihrer Meinung nach eigentlich lediglich die<br />

von neuem vollzogene befriedigende Identifikation mit einer von uns<br />

lange verinnerlichten, tradierten Sehweise. 5 Ihre Position deutet die Autorin<br />

noch genauer: Das »Ich«, »Sie«, »Er« meiner Geschichten versucht, wenn<br />

es sich in der Heimat der bereitgestellten Schablonen nicht identisch fühlen<br />

kann, die Befreiung in ein Zerstäuben, versucht nicht nur ein<br />

Zertrümmern jener »literarischen« Ordnungen, die Gesellschaft und<br />

rauhes Erwachsenenleben anbieten und aufzwingen, sondern eine Eigenauflösung:<br />

eine Preisgabe der härtenden Konturen hin auf ein Verschwimmen<br />

mit einem größeren Zusammenhang. Im besten Fall also nicht<br />

ein bloßes Entfliehen vor den »Ideologien« der Gesellschaft, vielmehr eine<br />

Auslöschung in einen Hintergrund oder Boden hinein, in die Natur! 6<br />

Die Ideologiezertrümmerung und Politisierung der »Natur«, der Umwelt,<br />

des Privaten und Alltäglichen, wird auch sprachlich und erzählerisch<br />

eingelöst: Unerwartete Übergänge von Konkretem ins Abstrakte, von<br />

3<br />

Brigitte Kronauer: Die Wiese. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Brigitte<br />

Kronauer, 1993, S. 120.<br />

4<br />

Brigitte Kronauer: Der unvermeidliche Gang der Dinge (1974), in: Text und<br />

Kritik, Brigitte Kronauer, Heft 112, Oktober 1991, S. 3.<br />

5<br />

Ebd.<br />

6<br />

Brigitte Kronauer: Die Wiese, a.a.O., S. 124.<br />

13

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