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Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2004 - Ljudmila

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Brigitte Kronauer<br />

Junger Mann, dumme Jugend<br />

»Ich selbst bin völlig zufrieden mit einer einzigen lobenden Erwähnung<br />

am Schluß«, sagte Schnurrer, schlug die Augen nieder, legte den Kopf schief<br />

zur rechten Schulter hin, fast als wollte er einnicken. Er sagte das zur Beschwichtigung.<br />

Die Geste der Schläfrigkeit gab er obendrauf, um den Aufgeregten<br />

am Tisch von einer zweiten Front her abzukühlen.<br />

Der junge Schriftsteller Frank Müller aber ballte weiterhin die Fäuste,<br />

schüttelte alle, von Schnurrer gezielt ausströmende Traumversunkenheit<br />

ab und zitierte mit einer Stimme, die er bei sich wohl »Tonlage des klirrenden<br />

Hohns« nannte und tadellos beherrschte, was das Durchhalten<br />

dieser Nuance bis zum letzten Wort betraf: »Der Schriftsteller ist vergleichbar<br />

dem Star, der immer nur sich selbst spielen kann, der Übersetzer<br />

dagegen ist der Profischauspieler, der in alle Rollen, sich stets verwandelnd,<br />

schlüpft.«<br />

Eigentlich mußte Schnurrer die ganze Zeit vor Vergnügen brüllen. Er<br />

war hellwach. Diesen Nachwuchsautor kannte er kaum, hatte ihn, in<br />

harmloser Tücke, nur eingeladen, weil er sich eine besondere Unterhaltung<br />

versprach, von der er beim ersten Treffen vor kurzem eine flüchtige<br />

Kostprobe genossen hatte: Mit jedem abgebrühten Biegen der Mundwinkel<br />

nach unten oder besiegelnden Fallen lassen der Schultern, jeder<br />

mäkelnden Dehnung des ä-Lauts, jedem Agieren mit der nicht angezündeten,<br />

wie vergessenen Zigarette als demonstratives Opfer an den Ernst<br />

der Lage ahmte der junge Mann seinen Meister, sein großes, bekannteres<br />

Vorbild nach, übertrieb es natürlich, und das hieß für Schnurrer, daß er<br />

sich zusätzlich über seinen Freund, das abwesende Jungautorenidol,<br />

amüsieren konnte. Was machte das schon? Die merkten ja beide nichts<br />

davon. Nur seine Frau, mit am Tisch, lachte in einem fort Tränen, die sie<br />

mit einem heuchlerischen Dauerniesen zu begründen versuchte. Schnurrers<br />

alter Freund immerhin verstand sich auf eine so suggestive Darstellung<br />

von Beischlafszenen, daß, wie er behauptete, Frauen, die mit ihm<br />

in Affären verwickelt waren, in solchen Momenten exakt das zu ihm sagten,<br />

was seine Heldinnen zu seufzen pflegten. So ging es schon eine Weile.<br />

Die nichtfiktiven Frauen hielten mit seinen von Mal zu Mal mühsameren<br />

Neuerungen lässig Schritt.<br />

So saß der Erfolgreiche, der seine eigene Literatur im Leben wiederfand,<br />

anstatt im Leben, gut zuhörend, für seine Literatur zu profitieren, in<br />

der Klemme. Ob dieser junge Frank auch schon so weit war? »Ein einziges<br />

›Hervorragende Übersetzerarbeit wurde geleistet von Karl Rüdiger<br />

Schnurrer‹ genügt mir vollauf, wie gesagt«, warf Schnurrer noch einmal<br />

besänftigend hin. »Und das ist der Sache auch angemessen, generell.« Es<br />

war einfach die Gelassenheit des Könners!<br />

»Wer«, rief nichtsdestoweniger der junge Frank Müller, »wer hat denn<br />

schließlich die Konstruktion, den Plan ausgedacht, abgeleitet aus der<br />

Wirklichkeit, das kalkulierte Bauwerk? Kommt es etwa, wie uns von allen<br />

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