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Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2004 - Ljudmila

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Brigitte Kronauer<br />

mit Vergnügen nach.« Schon ein winziges Zittern der auffälligen Nasenflügel<br />

hätte ich dankbar als Lächeln verstanden. Ich sah es aber nicht, ich sah<br />

die schwarzen Höhlen des Schranks hinter dem Bett, die leer waren bis<br />

auf das Bild des Mannes, er hätte ein alter Tiroler sein können, auf der<br />

mittleren, beschädigten, an der Außenkante mehrfach eingeschnittenen<br />

Platte, und ich sah ihre Augen von der Seite. Sie wollte sie weder schließen<br />

noch richtig öffnen, und ich wußte nicht, ob sie horchte mit den riesigen<br />

Trichtern der dünnen, bleichen Ohren.<br />

»Am Käfig mit den Luchsen wurde ein erwachsener Mann vorbeigeführt,<br />

von einem vernünftig, ja feierlich blickenden Kind. Ein Geisteskranker,<br />

der Große. Man erkannte es an der schrecklich empfindlichen Haut.<br />

Der ganze Mann wirkte nackt und hatte wohl zum Schutz, um nicht so<br />

entblößt zu erscheinen, einen Hut auf, einen Filzhut bei der Hitze.«<br />

»Und die Löwen!« rief ich gleich hinterher, »die Löwen habe ich wahrhaftig<br />

bei einem Paarungsversuch überrascht! Der Löwe und die Löwin,<br />

die Könige, lagen einander gegenüber, sehr lange, und sie sahen sich<br />

immerfort an. Dann erhoben sie sich, gingen ein Stück, alles machten sie<br />

gemeinsam und aufeinander abgestimmt. Sie schritten nebeneinander<br />

durch das Freigehege wie geradewegs in die Arche Noah hinein. Dann<br />

plötzlich der Paarungsversuch. Beide haben kurz gebrüllt und es dann<br />

doch nicht gemacht.«<br />

»Und immer die ungeschlachten Leute natürlich, selbstgefällig auf die<br />

eleganten Tiere einredend, gröhlend vor den Käfigen und mit den von<br />

den Schildern abgelesenen Namen prahlend, in glänzenden, formlosen<br />

Anoraks sonst, an diesem Tag schwitzend in ihren Dschungelhemden.«<br />

Wäre sie aufgeschreckt, wenn ich geschrieen hätte: »Es brennt!«? Ich<br />

erzählte um die Wette mit ihrem Schweigen, in die Dumpfheit, die<br />

zunehmende Ungeschiedenheit ihrer Sinne, in ihr Dahinfließen erzählte<br />

ich meine Einzelheiten wie letzte Gitter, Sperren, als Bremslichter in ihre<br />

Dämmerung, die sich ausbreitete. Ich erwähnte die Momente vor den<br />

Raubtieren in ihren Käfigen, in ihrer Wildheit festgebannt, fauchend und<br />

drohend, doch niemals jagend, und vor den Pflanzenfressern, den sanften,<br />

die wie abgeschliffene Steine waren und niemals verfolgt wurden. Kleine<br />

Gegenstände wollte ich ihr noch einmal zuwerfen.<br />

Das Licht vom Fenster fiel auf ihr Gesicht, das sie dorthin und zugleich,<br />

durch die Federbetten hindurch, dem Erdboden zugeneigt hielt. Ihr ganzer<br />

Körper befand sich auf einer wortlosen, reglosen Wanderung, ich sah es<br />

und lärmte jetzt nicht mehr dagegen an. Rücken und Kopf wuchsen schon<br />

als Dreiviertelkreis aus den Decken, nun sollte sich die Lücke noch<br />

schließen, das letzte Stück, den Brettern, dem Keller, der finsteren Erde<br />

zu. Sie war eine elastische Flüssigkeit, die uns allen entglitt, in zartem<br />

Eigensinn, und ich spürte, daß sie begann, einen Strudel zu bilden, der<br />

alle festen Einzelbilder und alle meine Ereignisse aus der Nachbarschaft<br />

und schon längst alle Erinnerungsstücke aus diesem Zimmer einfing,<br />

einsaugte, so daß alles an ihrem Fließen teilnahm. Sie nahm, sie nahm mit<br />

ihrem stillen schwachen Lebensrest das alles mit, und alle Festigkeit<br />

schmolz dahin, schmolz in sie hinein und so vermengt krümmte es sich<br />

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