Deutsche Altertumskunde

256 n. Historischer Zeitraum. A. Westgermanen und Ostgermanen.
Merkmal der neuanbrechenden Zeit, daß nun auch aus den durch die unpersönUchen
Mächte der Sitte streng gebundenen deutschen Gauen eine
Persönlichkeit hervortrat und Ariowist sein individuelles Lebensgesetz zu
verwirklichen unternahm. In Gallien war das Persönlichkeitsbewußtsein der
führenden Männer schon zu der Herrenmoral des Absolutismus gediehen,
der die Masse des Volkes in sklavischer Abhängigkeit knechtete. i) Auch
dies Bild ist als Folie der deutschen Freiheit willkommen. In Germanien
war die Freiheit der Volksgenossen noch nicht durch den Ehrgeiz einzelner
reicher Leute entkräftet. Wohl gab es auch bei den Germanen Unterschiede
des Standes und des Besitzes, aber die letzteren waren nicht so erheblich wie
die ersteren; alle Volksgenossen der Germanen waren ungefähr gleich wohl-
habend, weil sie gleicher Rechte und Freiheiten sich erfreuten; es blieb nur
der Abstand zwischen hoch und nieder.-) In Gallien, wo Geldwirtschaft,
Handel und Gewerbe blühten, die obersten Schichten einem den Germanen
unbekannten Luxus fröhnten ^) und der Reichtum zum Despoten der Armut
geworden war, wurde die politische, wirtschaftliche und finanzielle Despotie*)
noch verstärkt durch eine der Wissenschaft und Spekulation nachtrachtende
Hierarchie der Druiden, die durch Unterricht, Kultgesetze ^) und durch auf-
fallende Standesprivilegien das Volk in einem Bann hielten, der den Germanen
damals noch ganz unbekannt gewesen sein dürfte.
Den Grundcharakter der deutschen Zustände erfassen wir also, 1. wenn
wir sie als primitiver ansehen denn die der Gallier und 2. wenn wir ihren
freiheitlichen und genossenschaftlichen Grundzug anerkennen.
Primitiv sind die Formen altgermanischer Religion, solang ein im
Interesse wirtschaftlichen Wohlstandes wandelnder Aberglaube noch so
kräftig hervortrat wie in Caesars Schilderung.