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Deutsche Altertumskunde

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3. Germania. B. Kulturverhältnisse. § 77. Altersklassen. 453<br />

Tagesordnung: der Schmaus bei Bier und Wein schuf Gelegenheit zu genuß-<br />

süchtiger Faulheit, aber auch zu erregter gegenseitiger Aussprache über<br />

allerlei geschäftliche Angelegenheiten, bei denen die Gegner sich zu Zank<br />

und Rauflust erhitzten, denn die Gelage dehnten sich zuweilen über Nacht<br />

und Tag aus und forderten dann um so längere Schlafenszeit. i) Diese alltäglichen<br />

Kneipszenen {convivia), die nicht jedermanns Sache waren, wurden<br />

zu festlicher Weihe erhoben durch die periodisch widerkehrenden Versammlungen<br />

[coetus] der Nachbarschaft, 2) an denen alle Mitglieder teilnahmen,<br />

denen geselliger Frohsinn die Zungen löste, Sinne und Herzen aufschloß. 3)<br />

Solche Festgelage hießen „Gilde" im engeren Sinn und dieser Name schrieb<br />

sich davon her, daß alle Genossen ihren Beitrag zum Festmahl in Naturalien<br />

zu entrichten hatten.^)<br />

Für das Wesen des Männervereins ist solch gemeinschaftliches Essen<br />

und Trinken ein dauerndes Symbol, denn allezeit wird Kameradschaft dadurch<br />

begründet, daß aus demselben Becher getrunken und aus derselben Schüssel<br />

gegessen wird (S.451 f.); so sind jene convivia und coetus ein ausreichender<br />

Beleg für die genossenschaftliche Vereinigung der verheirateten Männer. 0)<br />

Diese ist aber nicht bloß eine Speise- und Trinkgesellschaft; sie hat<br />

auch wichtige Arbeitsaufgaben im Wirtschaftsleben zu erledigen ") und als<br />

solche nennen wir sie Markgenossenschaft. Die Gilden sind gesellige<br />

Veranstaltungen der Dorfschaften (Kluften) und als solche eine Institution<br />

der Dorfgemeinde, über deren Bereich sie nicht hinausgehen, deren Mitghedschaft<br />

aber kein Insasse der Gemeinde, es sei denn zu seinem schweren<br />

Schaden, sich entziehen kann; der Gildeschmaus ist das wichtigste Jahresfest<br />

der Dorfgemeinde,^) die aber nicht bloß eine feiernde, sondern auch<br />

eine arbeitende Wirtschaftsgemeinde ») repräsentiert.<br />

Gefolgschaft: Loebell, Gregor von Tours S. 502 ff. G. Waitz, Verfassungsgeschichte<br />

1», 244 ff. A.Gemeiner, Die Verfassung der Centenen (1855) S. 73 ff. Baumstark,<br />

Staatsaltertümer S. 559 ff. Gierke, Genossenschaftsrecht 1,89 ff. von Amira, Pauls<br />

Grundriß 3*, 167. Brunner, Rechtsgeschichte 1«, 185 ff. — Altdeutsche Genossenschaften:<br />

Wörter und Sachen 2, 9 ff.<br />

*) Bedächtigere Art verließ sich für die<br />

letzte Entscheidung in geschäftlichen Dingen<br />

auf die gute Stunde des nüchternen Tages<br />

Germ. c. 22—23.<br />

2) ags. edmcele, ahd. etmäl, itmäli, mnd.<br />

etmäl, mnl. edmael, dän. etmaal periodisch<br />

wiederkehrender Termin, Fest; ags. ^emung,<br />

fries. göm, and. gönia, ahd. gouma Gelage,<br />

vgl. Germ. c. 24. Diese Festgelage fanden<br />

gern wie die Hochzeitsfeier auf Grabhügeln<br />

statt (Herrigs Archiv 96, 333), dürfen aber<br />

nicht mit den politischen Volksversammlungen<br />

identifiziert werden, denn das .Volk"<br />

versammelte sich auch im Bierhaus (Hegel,<br />

Städte und Gilden 1,413 f.).<br />

^) ags. dream, and. dröm.<br />

*) „Gilde" {anoxA. gildi, ags.3/Wrf, afries.<br />

ielde, mnd. gilde) ist abgeleitet von anord.<br />

gjald (Bezahlung), got. gild (Steuer), ags.<br />

^ild, afries. ield, and. geld, ahd. gelt Bezahlung<br />

(vgl. geltan bezahlen ; ahd. giwerf<br />

coUatio; mnd. xnnX. gelach „das Zusammengelegte").<br />

„Gilde" hat aber auch die Be-<br />

deutung einer das zusammengebrachte Mahl<br />

verschmausenden Gesellschaft angenommen<br />

(DWb. IV, 1, 2, 2845); eine umgekehrte Entwicklung<br />

hat das Wort , Zeche* durchgemacht<br />

(Verbandsordnung einer Alterklasse S. 437;<br />

Schmauserei; auf jeden einzelnen entfallender<br />

Anteil Schmeller 2*, 1076).<br />

*) Das Statut, nach dem das Verhalten<br />

der Mitglieder geregelt wurde, ist uns in<br />

dem Ausdruck , Zunft' bewahrt geblieben;<br />

es ist das altertümliche Verbalabstraktum zu<br />

, ziemen" (ahd. gizumft : convenientia, pactum;<br />

conventus); vgl. Ordnung > Orden.<br />

*) negotia im Gegensatz zu conuiuia<br />

Germ. c. 22.<br />

') Es heißt got. gabaurs (xcö/no; Rom.<br />

13, 13. Gal.5, 21), vgl. got. gabaur (Steuer =<br />

Kollekte).<br />

") Tacitus nennt die deutschen Männer<br />

darum cultores (Germ. c. 26) — ahd. uobari;<br />

über die nicht nach Gebühr beachteten ,Dorfgilden"<br />

vgl. Detlefsen, Geschichte der Eibmarschen<br />

1, 393. 2, 356.

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