Deutsche Altertumskunde

3. Germania. B. Kulturverhältnisse. § 77. Altersklassen. 447
zulassen, 1) auf dem weichen Polster ihrer Bärenhäute behagliche, durch
Jagdvergnügen unterbrochene Mußestunden zu feiern und im Nichtstun zu
wetteifern oder die geselligen Talente in jugendlicher Begeisterung dem
Gesang, dem Tanz und der Dichtkunst zu widmen^) — was aber nicht allzu
lange währen darf, wenn der Zerfall einer großen Gefolgschaft verhütet
werden sollte. 3) Diese eigentümliche Zwiespältigkeit des Daseins, dieser
unbedachte Wechsel zwischen Strapazen und Faulheit ist ein guter Maßstab
für die altgermanische Zivilisation im Zeitalter der Raubwirtschaft.'^)
Ob adelig oder nichtadelig, die Jungburschen konnten, soweit sie
brauchbar waren, in bestehende Gefolgschaften besonders vornehmer und
besonders reicher Herren eintreten, und auch den Junkern gereichte dies
nur zur Ehre.^) Edeljunker von besonders hohem und altem Adel konnten
aber gleichsam als geborene Fürsten und Herren schon bei ihrer Wehrhaftmachung
von ihrer Heimatsgemeinde durch den Fürstentitel und Fürstenrang
ausgezeichnet und damit als Gefolgsherren anerkannt werden. ß) Ihnen
stand es zu, schon als Burschen eine eigene, selbständige Gefolgschaft zu
begründen,'') denn das Vorrecht des Komitats hatten alle principes.^) Die
von den Edeljunkern mit ihren jugendlichen AUersgenossen in der Heimatsgemeinde
aufgetanen Gefolgschaften wurden besonders abenteuerlustig,
haben auf eigene Faust die waghalsigsten Heerfahrten unternommen, um
dabei zu sein, wo es irgend Kriegshändel gab und um als Kriegsbeute
einen gefeierten Namen und reichen Sold heimzubringen. »)
Auch andere freie Genossenschaften konnten unter Zustimmung der
Landsgemeinde für militärische Unternehmungen so oft gebildet werden,
als ein Bedürfnis eintrat, 1°) Hat einer der Edelinge vor versammeltem Volke
') Germ. c. 31.
*) In der Gefolgschaft erschloß sich den
Jungburschen »ein neues Leben, ein erweiterter
Ideenkreis, die engen Schranken
des bäurischen Gemeindewesens wurden
durchbrochen, feinere Bildung und höfische
Sitte wurden gepflegt, Kriegsruhm und Hofglanz,
müheloser Reichtum und unbekannter
Genuß boten sich dem Begabten dar ... die
hohe Idee der Treue sittigte das Verhältnis
und eine neben der alten Volksdichtung neu
erblühende Heldenpoesie verklärte den Treudienst
und ließ das Dienstband bald inniger,
heiliger, schöner erscheinen als das Genossenband"
GiERKE, Genossenschaftsrecht 1, 98.
') magmim comitatum non nisi ui belloque
tiientiir Germ. c. 14.
*) mira diuersitate cum iidem homines
sie atnent inertiam et oderint quietem Germ,
c. 15.
") nee rubor inter eomites aspiei Germ,
c. 13 (im vorhergehenden Satz ist mit Lipsius
und Haupt ceteri zu lesen). — Über die
Zahl der Gefolgsleute in einem Herrenhaus
vgl. Brunner l^, 194 f.
^) W. SiCKEL, Der deutsche Freistaat
S. 103 ff. — Tacitus bemerkt ausdrücklich,
was in selteneren Fällen vorgekommen sein
mag, daß der Fürstenrang auch Nichtadeligen
zum Lohn für die Verdienste ihrer Väter zugesprochen
werden konnte.
") insignis nobilitas aut magna patrum
merita principis dignationem etiam adolescentulis
assignant Germ. c. 13; als
Beispiel kann der aus dem Bataweraufstand
bekannt gewordene junge belgische Heerführer
Valentinus {dux . . . adulescentulus
Histor. 4, 68. 71. 76) dienen. Ein 12jähriger
Fürst fungiert als Gesandter ("010 71, 11); im
übrigen s. Zeitschr. f. d. Phil. 18, 129 ff. Delbrück,
Kriegskunst 2, 30 gegen Waitz, Verfassungsgeschichte
P, 281 ff.
*) Baumstark, Tacitus 1,520; über die
principes handelt auch Seeck, Untergang
1», 527 ff.
*) si eiuitas in qua orti sunt longa
paee et otio torpeat, plerique nobilium
adolescentium petunt ultro eas nationes
quae tum bellum aliquod gerunt quia et
ingrata genti quies et facilius inter ancipitia
elarescunt . . . materia munificentiae
per bella et raptus Germ. c. 14. „Wo das
Häuptlingstum stark entwickelt ist, stehen
die engeren Vereinigungen oft unter der
Führung von Häuptlingssöhnen und bilden
eine Art Gefolgschaft" Schurtz, Altersklassen
S. 126.
1") Schurtz, Altersklassen S. 323.