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Deutsche Altertumskunde

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3. Die Urgermanen. B. Kulturverhältnisse. § 9. Gelände und Siedelung. 79<br />

keine besonderen Überraschungen was den geographischen Fortschritt der<br />

Siedelungen betrifft; ein Vordringen in früher unbewohnte Gebiete fand<br />

hauptsächUch durch Erweiterung der älteren Wohnbereiche statt, als man<br />

im Mittelalter den Wald zu roden, ins Gebirge einzudringen und den breiten<br />

Saum der Grenzmarken auf eine Linie zu reduzieren begann. i) Man spricht<br />

bereits von einem Gesetz kontinuierlicher Siedelung, denn fast überall, wo<br />

gründlichere Ausgrabungen stattgefunden haben — ein glänzendes Beispiel<br />

liefert Gießen oder Heidelberg — , reihen sich die Funde lückenlos aus<br />

einer Kulturperiode an die andere.'')<br />

Es ist also die Annahme statthaft, daß die norddeutschen Landschaften<br />

von den Urgermanen wohnlich zugerichtet und ungefähr da besiedelt worden<br />

sind, wo noch heut die ältesten Städte und Dörfer liegen, aber entfernt<br />

nicht so dicht wie im Mittelalter. Wenig zahlreiche Völker in kleinen Gruppen<br />

weithin verteilt, aber einander an Lebensweise gleichend und gesellig<br />

untereinander verbunden: das ist der Zustand, wie wir ihn für die vor-<br />

geschichtlichen Zeiten annehmen dürfen.<br />

Den räumlichen Anforderungen ihrer Hauptbeschäftigung gemäß werden<br />

die neolithischen Viehzüchter wie die modernen Viehzüchter Norddeutsch-<br />

lands mit Vorliebe zerstreut gewohnt haben. 3) Damit gewinnen wir einen<br />

sehr bezeichnenden Gegensatz der Germanen zu den südeuropäischen<br />

Kulturvölkern. Griechen und Römer treten uns als Bürger von Städten<br />

(jioXeig) entgegen, als politisch organisierte Stadtvölker. Die Germanen<br />

sind ein Landvolk und als solches dorf- oder kantönlimäßig organisiert;<br />

der uralte Ausdruck für eine altgermanische, zerstreute, aber doch wieder<br />

zu einer Art Kanton zusammengefaßte Siedelungsgemeinschaft ist „Gau".-»)<br />

Je tiefer wir die Kulturstufen hinabsteigen, desto kleiner an Kopfzahl<br />

werden diese Siedlerverbände und desto herdenmäßiger schließen sich die<br />

Bewohner nach außen ab. Jenseits der Grenzmark ihres Siedelungsgebiets<br />

beginnt für sie das Ausland, was nicht zum eigenen Siedelungsverband<br />

gehörte, waren „Fremde", gehörten dem „Elend" an.^) Aus diesen Grundanschauungen<br />

ergibt sich die Tatsache eines Zusammenschlusses der<br />

Siedelungsgenossen zu einem „Volk".^)<br />

Aber von einem Nationalcharakter oder einem germanischen Volkstum<br />

darf in der Siedelungsperiode der Urgermanen selbstverständlich vorerst<br />

*) Geograph. Zeitschr. 7, 374. hervor, wenn man davon ausgeht, daß es<br />

2) Mitteil. d. oberhess. Geschichtsver. 16, mit dem Kollei got.^az«;/, ags.3^, afries.<br />

!<br />

i<br />

|<br />

95.17,91. Fabricius, Besitznahme Badens<br />

durch die Römer S. 6. MucH, Heimat der<br />

Indogermanen'' S. 328. Vgl. ferner Korre-<br />

spondenzbl. d. Gesamtver. 1908, 27 (Mons<br />

heim bei Worms); AhV. 5, 169 ff. (Nierstein<br />

in Rheinhessen war seit der jüngeren Steinzeit<br />

ununterbrochen bis auf den heutigen<br />

Tag bewohnt) ; Zeitschr. f. Ethnolog. 37,952ff.<br />

Mecklenburg. Jahrb. 67, 149 u. a.<br />

*) colunt discreti ac diuersi sagt noch<br />

Tacitus Germ. c. 16.<br />

|<br />

!<br />

!<br />

j<br />

*) Dies Wort darf durchaus nicht in<br />

seiner späteren (fränkischen) verwaltungstechnischen<br />

Bedeutung verstanden werden,<br />

tritt vielmehr mit seinem ursprünglichen Sinn<br />

;<br />

gä, and. ^ö, ahd. gewi, gouwi mit griech.<br />

oh] Dorfschaft (o;? Dorfgenosse) verbinden.<br />

^) got. anord. land, ags. afries. lond, and.<br />

ahd. land ist das offene Gelände (air. land<br />

freier Platz, abulg. ledina unbebautes Land)<br />

einer Siedelungsgenossenschaft; das „andere"<br />

Land ist „elend" < ags. elelende,<br />

and. elilendi, ahd. elilenti; nach der Ent-<br />

fernung ist der Fremde benannt : got. /ra-<br />

mapeis, ags. fremede, and. fremithi, ahd.<br />

framadi (abgeleitet von dem gemeingerm.<br />

Adverh. fram entfernt),<br />

«)<br />

got. piuda (S. 61).

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