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Deutsche Altertumskunde

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S.Germania. B. Kulturverhältnisse. §75. Dorf-, Hundertschaft, Landsgemeinde. 433<br />

Versammlung gewählt und zwar nach der Maßgabe, daß der Gerichts-<br />

vorsteher, 1) der die Gerichtsversammlungen zu leiten hatte und vielleicht<br />

überhaupt als Vorsteher der Gaubezirke amtiert hat, dem Adel (Prinzipat)<br />

angehören mußte. 2) Die hundert Beisitzer sollten dem Vorsteher als Ratskollegium<br />

3) dienen, nach dessen Urteilsfindung der „Umstand" (die Leute<br />

aus den Gaudörfern) seine Zustimmung zu erklären 4) und danach der Vor-<br />

steher das Urteil auszugeben, d. h. den Wahrspruch zu verkündigen hatte. 0)<br />

Jene hundert Beisitzer waren also Vertrauenspersonen ihrer Landsleute und<br />

mußten der Rechtsüberlieferung kundig sein,«) weil auf dem Wissen der<br />

„Hundert" hauptsächlich die Rechtsordnung der nach ihnen als „Hundert-<br />

schaften" bezeichneten Dorfschaftsverbände (Gaubezirke) beruhte.')<br />

Unter pagus verstehen wir also den Gerichtsbezirk der hundert Beisitzer;<br />

der altgermanische „Gau" ist dann die Hundertschaft, das Gaugericht ist das<br />

Hundertschaftsgericht; wir werden daher das vieldeutige Wort Gau») vermeidend<br />

für lat. pagus den altgermanischen Ausdruck bant^) oder „Hundertschaft"<br />

einzusetzen haben. 1^) Eine Thingstätte gibt es in der ostnordischen Hundert-<br />

diese schwierige Stelle vgl. Baumstark,<br />

Staatsaltertümer S. 477 ff. Brunner l'^ 202ff.<br />

iura reddere wird für den römischen Zivilprozeß<br />

und für das Privatrecht gebraucht;<br />

pagis uicisque Ann. 1, 56.<br />

1) ags. hundredes ealdor, ealdorman<br />

(princeps) ; fränk. thunginus (Gierkes Untersuch.<br />

89, 235).<br />

*) Das Richteramt war ein (aus der Geschlechterverfassung<br />

stammendes?) Vorrecht<br />

der Nobilität; Brunner 1^204f. Im übrigen<br />

vgX.principes regionum atque pagorum inter<br />

suos ius dicunt controuersiasque minuunt<br />

Caesar 6,23; über die Bedeutung von regio<br />

(Caesar 7, 3) handelt Baumstark, Staatsaltertümer<br />

S. 330 f. Vor Eröffnung der Verhandlung<br />

hatte der Vorsteher — iudex —<br />

durch die sog. Hegungsfragen festzustellen,<br />

ob das Gericht mit den richtigen Personen<br />

besetzt, am richtigen Ort und zur richtigen<br />

Zeit zusammengetreten sei (Brunner F,<br />

198 f.); als Leiter hatte er außerdem die<br />

Banngewalt, d. h. bei Strafe zu gebieten<br />

und zu verbieten (»das Gericht bannen"<br />

Brunner 1^ 200 f.): zh±ban ist hierfür der<br />

gemeingermanische Ausdruck (vgl. griech.<br />

(f>t]Hi, lat. fari).<br />

^) got. ragin {yvcbfitj, döyua, oistorofiia) :<br />

ragineis (ßovXsi'xt'jg, ovnßovloc) : raginon, garaginon<br />

{nvftßovXeveir); afränk. raginburgii<br />

(Lex Salica), vgl. anord. regin (Gericht cfr.<br />

regindömr; dolgrogner, landr(^gner), ags.<br />

re'^n-, and. ahd. regin- > rein- (z. ß. Reinhart).<br />

*) mnd. vulbort, mhd. volbort.<br />

') Überreste des Verfahrens will man im<br />

Pfänderspiel der Kinder wiedererkennen<br />

(Brunner P, 209).<br />

") anord. logmapr, ags. wita, afries. äsega,<br />

and. eosago, ahd. esago (Ahd. Gl. 2, 246, 18).<br />

Vgl. Brunner l^ 209.<br />

*) Es bezeichnet einen Verband von<br />

Handbuch des deutschen Unterrichts. Bd. V, Teil 1.<br />

Einzeldörfern (S. 397) und es hat den Anschein,<br />

daß der pagus nicht eigentlich ein<br />

Territorium, sondern einen Personenverband<br />

darstelle; jedenfalls ist aber der terminus<br />

technicus/jfl^usvon fremden (italischen bezw.<br />

gallischen) Verhältnissen auf Deutschland<br />

übertragen worden; vgl. Schulten im Philologus53,631ff.<br />

Mommsen, Schriften 5, 438 ff.<br />

Es ist daher sehr schwierig, über den altgermanischen<br />

pagus eine zutreffende Vorstellung<br />

zu gewinnen (Baumstark, Staatsaltertümer<br />

S. 330 ff.).<br />

^) Vgl. Tubantes, Bucinobantes, Brabant,<br />

Teisterbant u. a. ; ähnliches scheint aib zu<br />

bedeuten (Wetereiba Wetterau ; Bainaib, Burgundaib<br />

Paulus Diacon. 1, 13).<br />

"•) C. V. Schwerin, Die altgermanische<br />

Hundertschaft. Gierkes Untersuchungen 90<br />

(1907); dazu S.RiETSCHEL, Zeitschr.d.Savignystiftung<br />

f. Rechtsgesch. Germ. Abteil. 28,342.<br />

29, 261. 30 (1909), 193. Daß der pagus die<br />

Hundertschaft darstelle, ist die übereinstimmende<br />

Ansicht dieser Gelehrten (Savigny-<br />

Zeitschr. 30, 200). Sie wird dadurch gestützt,<br />

daß centeni ex singulis pagis (Germ. c. 6)<br />

auch bei der Heeresverfassung vorkommen<br />

(S.448) und so zweimal .Hunderter" — von<br />

hund abgeleitet erscheint für centeni ags.<br />

hynden, hundredarii (Savigny-Zeitschr. 28,<br />

434) — dem pagus die Bezeichnung hundari<br />

eingetragen haben könnten. Wie in der Heeresverfassung<br />

so dürfte auch in der Gerichtsverfassung<br />

centeni Ehrentitel für die Urteilsfinder<br />

eines pagus geworden sein. Möglicherweise<br />

beruht schließlich auf der Identität<br />

von pagus und hundari die Mitteilung<br />

Caesars von den 100 Gauen der Sweben<br />

(4, 1) und die des Tacitus von den 100 Gauen<br />

(statt von den Hundertschaften, Centenen)<br />

derSemnonen(Germ.c.39); vgl.auchBeitr.33,<br />

473 ff. Histor.Vierteljahrsschr.24(1913),54ff.<br />

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