Heinz R. Pagels Cosmic Code - Globale-Evolution TV
Heinz R. Pagels Cosmic Code - Globale-Evolution TV
Heinz R. Pagels Cosmic Code - Globale-Evolution TV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
europäischen Physiologen im Mittelalter, die sich für die Klassifizierung der Säugetiere<br />
interessierten, von der Existenz des Elefanten. Aber sie hatten noch nie einen gesehen.<br />
Die Größe dieser Geschöpfe warf die Frage auf, wie sich Elefanten paarten. Phantasievolle<br />
Autoren schlugen die verschiedensten Möglichkeiten vor: Die Elefanten kehrten<br />
einander den Rücken zu oder gingen gar unter Wasser, wo das Gewicht keine so große<br />
Rolle mehr spielte. Ein Schriftsteller meinte sogar, dass der Elefantenbulle für das<br />
Weibchen ein großes Loch grabe. Der antike griechische Geograph Strabo schreibt, das in<br />
seiner Brunst kopulierende Elefantenmännchen begatte das Weibchen, indem es »eine Art<br />
Fettsubstanz durch die Atemröhre abgibt, die es neben seinen Schläfen hat.« Keiner dieser<br />
Autoren hatte Gelegenheit, die Tiere zu beobachten; in Wirklichkeit vollziehen sie diesen<br />
Akt mit weitaus weniger Verrenkungen. Seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, trägt<br />
seinen Lohn in sich, ist aber keine wissenschaftliche Beobachtung.<br />
Die physikalische Theorie ist ohne das Experiment leer. Das Experiment ist ohne die<br />
Theorie blind. Die Experimentalphysiker sorgen dafür, dass die Theoretiker ehrlich<br />
bleiben. Sie wissen, dass rücksichtslose Ehrlichkeit, feste Beharrlichkeit, Geduld, Offenheit,<br />
Genauigkeit und Glück zur Entdeckung neuer Naturphänomene führen können.<br />
Die Experimentalphysiker haben die Radioaktivität (den Zerfall des Atomkerns in andere<br />
Teilchen), den Fotoeffekt (die Aussendung von Elektronen, wenn Licht auf eine Metallplatte<br />
trifft), die Atomlinienspektren (die genau voneinander getrennten Farben des von<br />
strahlenden Atomen ausgesandten Lichts) und die Teilchenstreuexperimente entdeckt, die<br />
die Theoretiker auf die Erfindung der Quantentheorie gebracht haben. Diese Entdeckungen<br />
waren mit der älteren Newtonschen Physik nicht zu erklären, und zwischen 1900<br />
und 1926 zeigte sich, dass eine neue physikalische Theorie gebraucht wurde. Die Erfindung<br />
der Quantentheorie beweist, dass Änderungen in der Denkweise nicht von allein<br />
kommen, sondern von empirischen Bedingungen ausgelöst werden. Mich beeindruckt<br />
immer wieder, wie oft sich unser Verstand vor neuen Gedanken sperrt, sich aber sehr<br />
schnell anpassen kann, wenn er will oder muss.<br />
Welche Beziehung besteht zwischen Theorie und Experiment? Es geht nicht nur darum,<br />
dass der Theoretiker eine Hypothese aufstellt und der Experimentalphysiker sie bestätigt<br />
oder widerlegt, obwohl es manchmal so ist. Weitaus häufiger entdeckt der Experimentalphysiker<br />
eine ganz neue Realität. Beispiele hierfür sind die Entdeckungen, die uns die<br />
atomare Welt erschlossen haben, die Radioaktivität, der Fotoeffekt und die Atomlinienspektren.<br />
Der Theoretiker muss dann in seiner Phantasie einen Sprung tun und neue Daten<br />
mit neuen theoretischen Gedanken verbinden. Die neue Theorie kann ihrerseits wieder<br />
Experimente anregen, die die Hypothese auf die entscheidende Probe stellen. Die Beziehung<br />
zwischen Theorie und Experiment ist wie ein Tanz, in dem mal der eine, mal der<br />
andere Partner führt.<br />
In der Astrophysik sind die Theoretiker den Experimentatoren zwangsläufig voraus. Sie<br />
konstruieren theoretische Modelle vom Innern der Sterne, den Kernen der Galaxien,<br />
Sternsystemen mit schwarzen Löchern und den ersten Sekunden des Urknalls. Diese Teile<br />
des Universums sind mit der heutigen Technik nicht ohne weiteres zugänglich, und beobachtete<br />
Beweise lassen sich schwer herbeischaffen. Mit der künftigen Entwicklung sehr<br />
großer Radioantennen und mit dem Raumteleskop werden aber neue Befunde über den<br />
Aufbau dieser astrophysikalischen Objekte entstehen. Bis dahin müssen die Theoretiker<br />
in der Astrophysik weiter auf experimentelle Daten warten.<br />
In der Hochenergiephysik haben im Gegensatz dazu die Experimentalphysiker oft einen<br />
Vorsprung vor den Theoretikern. Es gibt ungeheure Mengen an Versuchsdaten über die<br />
223