Heinz R. Pagels Cosmic Code - Globale-Evolution TV
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plementaritätsprinzip gelte für die Bestimmung des materiellen Aufbaus lebender Organismen.<br />
Wir könnten einen Organismus entweder töten, seinen Molekülaufbau bestimmen<br />
und kennten dann den Aufbau eines toten Organismus, oder wir könnten einen lebenden<br />
Organismus haben, jedoch seinen Aufbau nie kennenlernen. Bei der experimentellen<br />
Strukturbestimmung wird der Organismus umgebracht. Natürlich ist diese Ansicht<br />
völlig falsch, wie die Molekularbiologen beim Nachweis der molekularen Grundlage des<br />
Lebens bewiesen haben. Ich zitiere das Beispiel aber, weil es zeigt, dass selbst ein so<br />
kluger Mann wie Bohr ins Schleudern gerät, wenn er wissenschaftliche Prinzipien über<br />
ihren gewohnten Anwendungsbereich hinaus verwenden will.<br />
Wir kommen damit zu den beiden entscheidenden Befunden der Quantenrealität, die<br />
sich aus den Arbeiten von Heisenberg und Bohr, also aus der Kopenhagener Interpretation,<br />
ergeben. Erste Feststellung: Die Quantenrealität ist statistisch, nicht bestimmt. Auch<br />
wenn ein Versuch eigens zur Messung einer Quanteneigenschaft aufgebaut worden ist,<br />
muss die genaue Messung unter Umständen ganz oft wiederholt werden, weil einzelne<br />
genaue Messungen bedeutungslos sind. Die Mikrowelt existiert nur als statistische Verteilung<br />
von Messungen, und diese Verteilungen lassen sich in der Physik bestimmen. Der<br />
Versuch, sich ein geistiges Bild vom Ort und Impuls eines einzelnen Elektrons zu machen,<br />
das mit einer Messreihe konsistent ist, führt zum »unscharfen« Elektron. Das ist ein<br />
menschliches Konstrukt, mit dem versucht wird, die Quantenwelt nach der beschränkten<br />
Wahrnehmbarkeit unserer Sinne auszurichten. Wer sich mit solchen Konstrukten abgibt<br />
oder versucht, in einzelnen Ereignissen eine objektive Bedeutung zu entdecken, ist eigentlich<br />
immer noch ein versteckter Determinist.<br />
Zweites Argument: Es ist sinnlos, von den physikalischen Eigenschaften von Quantenobjekten<br />
zu sprechen, ohne dabei genau den Versuchsaufbau anzugeben, mit dem man<br />
sie messen will. Die Quantenrealität ist zum Teil eine vom Beobachter geschaffene Realität.<br />
Wie der Physiker John Wheeler sagt: »Ein Phänomen ist erst ein wirkliches Phänomen,<br />
wenn es beobachtet wird.« Das unterscheidet sich grundlegend von der Richtung<br />
der klassischen Physik. Max Born hat das so ausgedrückt: »Die Generation, zu der Einstein,<br />
Bohr und ich gehören, hatte einmal gelernt, dass es eine objektive physikalische<br />
Welt gibt, die sich nach unveränderlichen Gesetzen unabhängig von uns entfaltet; wir<br />
wohnen diesem Vorgang bei, wie das Publikum einem Schauspiel im Theater beiwohnt.<br />
Einstein hält das immer noch für die richtige Beziehung zwischen dem wissenschaftlichen<br />
Beobachter und seinem Versuchsobjekt.« Aber in der Quantentheorie beeinflusst die<br />
menschliche Absicht die Struktur der physikalischen Welt.<br />
Die Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie hat also den Determinismus<br />
verworfen und an seine Stelle die statistische Natur der Realität gesetzt; sie hat die Objektivität<br />
aufgegeben und statt dessen akzeptiert, dass die materielle Realität zum Teil<br />
davon abhängt, wie wir sie beobachten wollen. Nach hundert Jahren war das Weltbild der<br />
klassischen Physik zerstört. Aus der Substanz des Universums, dem Atom, lernten die<br />
Physiker die Realität neu erkennen.<br />
Das ganze Jahr 1927 über saß Bohr unter vielen Diskussionen mit Heisenberg und Pauli<br />
an einer Arbeit, in der er seine Gedanken über die Komplementarität niederlegen wollte.<br />
Er wollte sie zuerst in Como auf einer Tagung zu Ehren des italienischen Physikers<br />
Alessandro Volta und dann auf der 5. Solvay-Tagung in Brüssel vortragen, an der viele<br />
der bekanntesten Physiker teilnehmen wollten, darunter auch Einstein. Einstein und Bohr<br />
hatten sich 1920 kennengelernt, als beide schon Physiker von internationalem Rang waren.<br />
Daraus entwickelte sich mehr als eine freundschaftliche Beziehung zwischen Kol-<br />
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