Heinz R. Pagels Cosmic Code - Globale-Evolution TV
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Atomkerns, und die Kernphysik entstand. Die Grundlage für die ungeheure Energiefreisetzung<br />
beim radioaktiven Zerfall wurde erkannt; der radioaktive Zerfall war ein nicht-<br />
klassischer Vorgang, bei dem quantenmechanische Ereignisse mitwirkten. Die Physiker<br />
entdeckten die Energiequelle der Sterne, und die Astrophysik wurde zur modernen Wissenschaft.<br />
Erstaunlicherweise folgte die gebildete Öffentlichkeit diesen Entwicklungen nicht. Die<br />
Quantentheorie erregte nie das Aufsehen, das die Relativitätstheorie zuvor erregt hatte.<br />
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen herrschte in den frühen dreißiger Jahren eine<br />
Wirtschaftskrise. Zweitens waren viele Intellektuelle mit politischen Ideologien beschäftigt.<br />
Drittens, und das halte ich für besonders wichtig, hatte die abstrakte Mathematik<br />
der Quantentheorie keine Verbindung mehr zum unmittelbaren menschlichen Erleben.<br />
Die Quantentheorie ist eine Theorie über die mit Instrumenten nachgewiesene materielle<br />
Realität; ein Apparat steht zwischen dem menschlichen Beobachter und dem Atom.<br />
Heisenberg sagte dazu: »Der Fortschritt in der Wissenschaft ist auf Kosten der Möglichkeit<br />
erkauft worden, die Naturerscheinungen unserer Denkweise unmittelbar und direkt<br />
zugänglich zu machen.« Oder: »Die Wissenschaft opfert immer mehr die Möglichkeit,<br />
die unseren Sinnen unmittelbar zugänglichen Erscheinungen ›lebendig‹ zu machen;<br />
sie legt nur den mathematischen, formalen Kern des Vorgangs offen.«<br />
Heisenberg interessierte sich für die gegensätzlichen Ansichten, die Goethe, der deutsche<br />
Romantiker und Dramatiker, und Newton in der Farbenlehre vertreten hatten.<br />
Goethe hatte sich für Farben als unmittelbares menschliches Erleben begeistert, Newton<br />
sich für die Farbe als abstrakte physikalische Erscheinung interessiert. Auf experimenteller,<br />
materieller Grundlage muss man sich den Schlussfolgerungen Newtons anschließen.<br />
Aber Goethes Ansicht - er war ja einer der Begründer der Vitaltheorie - bezieht sich<br />
auf die Unmittelbarkeit der menschlichen Erfahrung. Die Vitalisten glauben, dass den<br />
lebenden Organismen eine bestimmte »Lebenskraft« innewohnt, die keinen physikalischen<br />
Gesetzen unterworfen ist. Das spricht zwar unsere Erfahrung an, aber es gibt für<br />
diese Ansicht keine materielle Grundlage. Das Leben hängt nur davon ab, wie normale<br />
Materie organisiert ist. Heute sind die Vitalisten mit ihrer Lebenskraft selten geworden,<br />
aber an ihre Stelle sind diejenigen getreten, die im menschlichen Bewusstsein eine besondere<br />
Eigenschaft sehen, die über die Gesetze der Physik hinausgeht. Diesen Neovitalisten,<br />
die jenseits der materiellen Realität nach den Wurzeln des Bewusstseins suchen,<br />
steht wahrscheinlich noch eine Enttäuschung bevor.<br />
Goethe war Teil der romantischen Reaktion auf die klassische Mechanik und die moderne<br />
Naturwissenschaft; diese Reaktion hält bis heute an. Dieser Gegensatz zwischen<br />
Goethe und Newton zeigte eine moderne humanistische Kritik an der Naturwissenschaft<br />
auf, wonach die abstrakten Erklärungen der Wissenschaft den vitalen Kern menschlichen<br />
Erlebens negieren. Die Quantentheorie und die aus ihr hervorgegangenen Wissenschaften<br />
sind besonders deutliche Beispiele für solche abstrakten Erklärungen.<br />
Die Wissenschaft leugnet die Realität unseres unmittelbaren Erlebens der Welt nicht;<br />
sie setzt dort ein. Aber sie bleibt nicht dort stehen, denn die Grundlage zum Verstehen<br />
unseres Erlebens besteht nicht in Sinneswahrnehmungen. Die Wissenschaft zeigt uns,<br />
dass der Welt unserer sinnlichen Wahrnehmungen eine begriffliche Ordnung zugrunde<br />
liegt, ein kosmischer <strong>Code</strong>, der im Experiment entdeckt und vom menschlichen Geist<br />
erfasst werden kann. Die Einheit unseres Erlebens ist, wie die Einheit der Wissenschaft,<br />
begrifflich, nicht sinnlich. Das ist der Unterschied zwischen Newton und Goethe. Newton<br />
suchte allgemeingültige Begriffe in Form physikalischer Gesetze, Goethe die Einheit der<br />
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