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erfolge im ausland - Institute for Advanced Studies

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Die wirtschaftliche Lage <strong>im</strong> Jahr 2004<br />

Kasten 6<br />

St<strong>im</strong>mengewichte <strong>im</strong> Rat der Europäischen Union<br />

Ein zentrales Ziel des <strong>im</strong> Juni dieses Jahres verabschiedeten europäischen Verfassungsvertrages war es, die erweiterte<br />

Europäische Union effizient und demokratischer zu gestalten. Hinsichtlich der Entscheidungsregeln <strong>im</strong> Ministerrat<br />

ergab sich diese Notwendigkeit aus der nunmehr höheren Zahl von Mitgliedstaaten sowie aus den Regelungen<br />

des Vertrages von Nizza, der den Implikationen der Erweiterung nicht in ausreichendem Maße Rechnung<br />

trägt (JG 2001 Ziffern 126 ff.). Diese Regelungen traten am 1. November 2004 in Kraft. Durch die Vergrößerung<br />

der Europäischen Union von 15 auf 27 Mitglieder (voraussichtlich <strong>im</strong> Jahr 2007) erhöht sich die Zahl der möglichen<br />

Koalitionen <strong>im</strong> Ministerrat von rund 33 000 auf über 134 Millionen. Jede mögliche Koalition steht dabei für<br />

eine spezifische Kombination von Ja-St<strong>im</strong>men und von Nein-St<strong>im</strong>men (beziehungsweise Enthaltungen). Betrachtet<br />

man statistisch alle möglichen Koalitionen als gleich wahrscheinlich – gewissermaßen unter einem Schleier der<br />

Unwissenheit über die politische Realität –, sinkt die Wahrscheinlichkeit, einen Beschluss zu fassen, das heißt, der<br />

Anteil der Abst<strong>im</strong>mungsvarianten, die das Quorum erfüllen, deutlich von 8,2 vH auf 2,9 vH. Unter Berücksichtigung<br />

des Grades der politischen Homogenität <strong>im</strong> Ministerrat sind diese Werte jedoch wenig aussagekräftig, so<br />

dass die relative Veränderung mit einem Rückgang auf etwas mehr als ein Drittel des bisherigen Werts das relevante<br />

Maß zur Beurteilung der Effizienz des Entscheidungsfindungsprozesses darstellt.<br />

Als Reaktion auf diese Veränderungen legte der Konvent zur Zukunft Europas in seinem Verfassungsentwurf Abst<strong>im</strong>mungsregeln<br />

für den Ministerrat vor, nach denen ein Beschluss dann getroffen werden sollte, wenn mindestens<br />

50 vH der Mitgliedstaaten, die mindestens 60 vH der EU-Bevölkerung repräsentieren, zust<strong>im</strong>men. Gemäß<br />

diesen Quoren wäre eine Entscheidungsfindung deutlich erleichtert worden; 21,9 vH aller zufällig gefundenen<br />

Koalitionen hätten einen Beschluss herbeigeführt, womit die Entscheidungseffizienz wieder das Niveau der Europäischen<br />

Gemeinschaften der sechs Gründungsmitglieder erreicht hätte. Der auf Basis des Konventsentwurfs von<br />

den europäischen Staats- und Regierungschefs verabschiedete Verfassungsvertrag fällt hingegen merklich hinter<br />

den ursprünglichen Vorschlag zurück. Die vereinbarten Mehrheitsschwellen von 55 vH der Mitgliedstaaten und<br />

65 vH der EU-Bevölkerung <strong>im</strong>plizieren eine um mehr als 40 vH geringere Entscheidungswahrscheinlichkeit <strong>im</strong><br />

Vergleich zum Verfassungsentwurf. Das zusätzlich zur Beschränkung der St<strong>im</strong>mengewichte der großen Mitgliedstaaten<br />

eingefügte Kriterium, dass eine Sperrminorität mindestens vier Staaten umfassen muss, ist in der Praxis<br />

wenig relevant. Es sind nur zehn Koalitionen denkbar – darunter nur eine ohne die Beteiligung Deutschlands –,<br />

bei denen ein möglicher Beschluss ohne diese zusätzliche Hürde scheitern würde.<br />

Ein direkter Vergleich der St<strong>im</strong>mengewichte der einzelnen Länder zwischen dem Vertrag von Nizza und dem Verfassungsvertrag<br />

beziehungsweise dem Konventsentwurf gestaltet sich insofern als schwierig, als die nunmehr beschlossene<br />

Regelung <strong>im</strong> Vergleich zum Vertrag von Nizza die großen Länder wegen des bedeutenderen Bevölkerungskriteriums<br />

auf der einen Seite stärkt, sie aber auf der anderen Seite wegen der vereinheitlichten St<strong>im</strong>menzahl<br />

der Vertreter <strong>im</strong> Ministerrat – jedes Land verfügt über eine St<strong>im</strong>me – in ihrem Einfluss schwächt. Aus diesem<br />

Grunde wird zur Darstellung und Beurteilung der veränderten Positionen der einzelnen Länder <strong>im</strong> Rat der Europäischen<br />

Union auf Indizes zurückgegriffen, mit denen mehrere Entscheidungsschwellen erfasst werden können.<br />

Die „Machtposition“ eines Mitgliedstaates kann daran gemessen werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit er über<br />

die entscheidende St<strong>im</strong>me verfügt, durch die ein Vorschlag <strong>im</strong> Ministerrat beschlossen oder abgelehnt wird. Der<br />

zur Messung dieser Machtposition herangezogene standardisierte Banzhaf-Index zeigt an, wie viele der möglichen<br />

Gewinnkoalitionen durch den Rückzug der St<strong>im</strong>me des betreffenden Landes zu Verlustkoalitionen werden<br />

(Banzhaf, 1965). In der hier verwendeten Form ist der Index für die Gesamtheit aller kritischen Koalitionen auf<br />

den Wert eins normiert. Bei dem Vergleich zwischen den Regeln des Vertrages von Nizza und denen des Verfassungsvertrages<br />

wird deutlich, dass sich geordnet nach Ländergrößen <strong>im</strong> Wesentlichen vier verschiedene Gruppen<br />

abgrenzen lassen (Schaubild 36).<br />

Die vier großen Länder Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien werden von der stärkeren<br />

Gewichtung der Einwohnerzahl <strong>im</strong> Verfassungsvertrag begünstigt; die Einwohnerzahl stellt zwar auch <strong>im</strong> Vertrag<br />

von Nizza ein <strong>for</strong>males Mehrheitskriterium dar, ist dort aber de facto irrelevant. Dabei verbessert sich die deutsche<br />

Position um annähend 50 vH, die der übrigen großen Länder um etwa 10 vH. Demgegenüber verfügen die mittelgroßen<br />

Länder gemäß dem Vertrag von Nizza über (weit) überproportional viele St<strong>im</strong>men in Relation zu ihrer Einwohnerzahl,<br />

die sie innerhalb des Verfassungsvertrages nicht mehr besitzen. Dies gilt für beinahe alle Länder, deren<br />

Einwohnerzahl zwischen acht Millionen und 40 Millionen liegt. Dabei fallen zwar die absoluten Verluste für<br />

Spanien und Polen am größten aus; gemessen an ihrer jeweiligen Ausgangssituation werden jedoch einige Länder<br />

noch schlechter gestellt. Dieser Gruppe schließen sich Länder mit Einwohnerzahlen zwischen 3,5 Millionen und<br />

5,4 Millionen Einwohnern an, für die die Höhergewichtung der Einwohnerzahl annähernd durch die nivellierte<br />

St<strong>im</strong>menverteilung kompensiert wird. Für die kleinsten EU-Länder überwiegt sogar der letztgenannte Effekt, so<br />

dass sie ihre Machtposition <strong>im</strong> Ministerrat – allerdings von bescheidenem Niveau aus – ausbauen können.<br />

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