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JGW-SchülerAkademie Papenburg 2011 - Jugendbildung in ...

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5 Gedenken oder Vergessen?<br />

erforschen und sie zur Kontrolle und Korrektur von schriftlichen Quellen zu nutzen<br />

(von Plato 2000: 26). Als Argument wird angeführt, dass mündliche Quellen denselben<br />

Quellenwert besäßen wie schriftliche, da auch diese von subjektiven Autoren stammten,<br />

die unter dem E<strong>in</strong>fluss ihrer Umgebung, Zeit und Kultur stünden (von Plato 2000: 9).<br />

Obwohl versucht wird, Zeitzeugen möglichst wenig zu bee<strong>in</strong>flussen, sehen Kritiker der<br />

»Oral History« Zeitzeugen als für wissenschaftliche Quellenarbeit nicht geeignet an<br />

(Welzer 2000: 61). Hauptsächlich wird darauf verwiesen, dass Zeugen Situationen oft<br />

wesentlich anders beschreiben als sich diese objektiv betrachtet zugetragen haben. Dies<br />

habe jedoch nichts damit zu tun, dass die Zeugen das Erlebte »falsch« darstellen wollten,<br />

sondern vielmehr damit, dass ihre Er<strong>in</strong>nerung so vielen äußeren E<strong>in</strong>flüssen ausgesetzt<br />

sei, dass diese sich unbewusst verändere (Welzer 2000: 60).<br />

Um dieser Kritik zu begegnen, wurden spezielle Interviewtechniken entwickelt (von<br />

Plato 2000: 21–22), bei denen das Interview <strong>in</strong> vier Phasen e<strong>in</strong>geteilt wird:<br />

1. die freilaufende Phase: Die <strong>in</strong>terviewte Person erzählt weitgehend ununterbrochen<br />

von ihrem Leben.<br />

2. die Nachfrage-Phase: Der Interviewer fragt gezielt nach nicht verstandenen Details.<br />

3. die Fragelisten-Phase: E<strong>in</strong>e vorher erarbeitete Frageliste wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesprächssituation<br />

abgearbeitet.<br />

4. die Streit-Phase: Differenzen zwischen den Interviewpartnern werden angesprochen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus existiert <strong>in</strong> der Fachwelt e<strong>in</strong>e weitere Position, welche die »Oral<br />

History« als Möglichkeit wahrnimmt, die Er<strong>in</strong>nerungen und kollektiven Gedächtnisse<br />

von M<strong>in</strong>derheiten und Unterschichten zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur Oberschicht<br />

würden diese seltener schriftliche Quellen h<strong>in</strong>terlassen, wodurch sie das kulturelle<br />

Gedächtnis (Erll 2005: 27–30) nicht so entscheidend prägen würden wie gesellschaftliche<br />

Mehrheiten (Dejung 2008: 114). Entsprechend würde die Zulassung mündlicher Quellen<br />

also auch e<strong>in</strong>e Erweiterung des kulturellen Gedächtnisses ermöglichen bzw. vorantreiben.<br />

Doch auch unter den Befürwortern des »Oral History«-Konzepts wird ke<strong>in</strong>e bl<strong>in</strong>de<br />

Glaubwürdigkeit gegenüber Zeitzeugenaussagen verlangt (Hockerts 2001: 20). Deshalb<br />

herrscht <strong>in</strong> der Fachwelt immerh<strong>in</strong> dar<strong>in</strong> E<strong>in</strong>igkeit, dass Interviews mit (m<strong>in</strong>destens)<br />

derselben wissenschaftlich distanzierten Haltung betrachtet werden müssen wie jede<br />

andere Quelle auch.<br />

5.6 Les lieux de mémoire<br />

Pierre Nora (geb. 7. 11. 1931), e<strong>in</strong> französischer Historiker, war der Erste, der sich der<br />

Frage angenommen hat, welche Veränderungen die Vergangenheits- und Zukunftsentwürfe<br />

der Nationen im Laufe der Zeit erfahren und wor<strong>in</strong> der geme<strong>in</strong>same Besitz e<strong>in</strong>es<br />

reichen Erbes an Er<strong>in</strong>nerungen (und Vergessenem) besteht. Dieses reiche Erbe, das die<br />

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