JGW-SchülerAkademie Papenburg 2011 - Jugendbildung in ...
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5 Gedenken oder Vergessen?<br />
In dieser Phase des Eskapismus versuchten die Deutschen durch Geschichtslosigkeit<br />
und Verdrängung e<strong>in</strong>en Neubeg<strong>in</strong>n. Erst durch den E<strong>in</strong>satzgruppenprozess und die<br />
antisemitische Welle um 1960 erhielt das Thema neue Brisanz. Das Schweigen der<br />
jungen BRD sowie die Kont<strong>in</strong>uität von Hitlers Eliten nach 1945 gerieten <strong>in</strong> die Kritik der<br />
westlichen Bündnispartner und wurden trotz allgeme<strong>in</strong>er Skepsis <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
erstmals öffentlich thematisiert.<br />
Die Rekonstruktion der Vergangenheit setzte mit dem Auschwitz-Prozess (1962–1965)<br />
e<strong>in</strong>, der die Praktiken der Massenvernichtung freilegte. Trotzdem verlangte e<strong>in</strong> Großteil<br />
der Bevölkerung, e<strong>in</strong>en Schlussstrich zu setzen. Indem die Regierung sich diesem<br />
Wunsch nach e<strong>in</strong>er Generalamnestie nicht entgegenstellte, sondern Doppelmoral bei<br />
der Verfolgung der Verbrechen ihrer Mitglieder walten ließ, fürchtete der l<strong>in</strong>ke Flügel<br />
der Studentenbewegung die Wiederkehr e<strong>in</strong>es tendenziell faschistischen Staates. Gerade<br />
durch diese generationelle Abgrenzung der 68er wurden erstmals auch <strong>in</strong>dividuelle<br />
Verbrechen beleuchtet (Siegfried 2000: 85–105; Görtemaker 1999: 199–206, 207).<br />
Die Geschichtswissenschaft, die den Holocaust mehrheitlich als zentral gesteuerte,<br />
eigenständig funktionierende Vernichtungspolitik sieht, regte die Diskussion durch<br />
Veröffentlichungen aus dem Ausland an. Die Intentionalisten, die an e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>maligen<br />
Führerbefehl zur Judenvernichtung glaubten, und die Strukturalisten, die den Holocaust<br />
als e<strong>in</strong>en auf mehrere Interessengruppen verteilten dynamischen Prozess sahen, radikalisierten<br />
die Debatte um die Schuldfrage. Auch neue Methoden und alternative Ideen<br />
weiteten die Tätergruppe aus: Die Wehrmachtsausstellung (1995–2001) legte erstmals<br />
die Verb<strong>in</strong>dung des Holocaust zum Militär offen – der Gruppe, mit der sich die meisten<br />
deutschen Familien im Krieg identifiziert hatten (Herbert 2001: 5–12).<br />
Aus psychologischer Sicht wird der Holocaust aus Täter-, Opfer- und Unbeteiligtenperspektive<br />
betrachtet. Die (re<strong>in</strong> deutsche) Täterperspektive wirft e<strong>in</strong> Licht auf die<br />
akribische Bürokratie des Dritten Reiches, während die Opferperspektive den Holocaust<br />
als subjektive psychisch-physische Erfahrung sieht. Es gibt sowohl Täter als auch Opfer,<br />
die ihre Er<strong>in</strong>nerungen verdrängen müssen (<strong>in</strong>dividueller Eskapismus), um das Überleben<br />
psychisch ertragen zu können (Bar-On 2005: 38–42; Bartov 2003: 99–105).<br />
Insgesamt etablierte die angesprochene Debatte Deutschland zwar als Land der vielen<br />
Täter, doch war diese Konkretisierung der <strong>in</strong>dividuellen Schuld erst <strong>in</strong> der Folgegeneration<br />
möglich. Diese steht jedoch nicht mehr <strong>in</strong> unmittelbarer Beziehung zum Holocaust,<br />
weshalb e<strong>in</strong> gesellschaftliches Er<strong>in</strong>nern unerlässlich ist (Bartov 2003: 112 ff.).<br />
5.15 Verordnete Er<strong>in</strong>nerungen und Verdrängen <strong>in</strong> totalitären Diktaturen<br />
am Beispiel der Stadt Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>grad<br />
Er<strong>in</strong>nerung ist sowohl für e<strong>in</strong>e Gesellschaft als auch für deren Machthaber von großer<br />
Bedeutung. Nachdem der Kommandant der »Festung Königsberg«, Otto Lasch, am<br />
07. 04. 1945 kapitulierte, nahmen die Machthaber der Sowjetunion die Stadt e<strong>in</strong>: Daraufh<strong>in</strong><br />
erfolgte e<strong>in</strong> Bevölkerungsaustausch, der die Ausweisung der Deutschen sowie die<br />
Neubesiedlung durch die russische Bevölkerung zur Folge hatte (Hoppe 2000: 299).<br />
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