JGW-SchülerAkademie Papenburg 2011 - Jugendbildung in ...
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6.6 Seneca – De providentia<br />
der Trennung vom Körper auflösen und zerstäuben. Sokrates reagiert auf diese<br />
Zweifel mit der Ideenlehre, die der Autor dem Protagonisten <strong>in</strong> den Mund legt.<br />
»Idee« bedeutet hier nicht »E<strong>in</strong>fall« im heutigen S<strong>in</strong>ne, sondern übers<strong>in</strong>nliches<br />
»Urbild«. Das Urbild nämlich, von dem alle s<strong>in</strong>nlich erfahrbaren D<strong>in</strong>ge nur e<strong>in</strong><br />
Abbild s<strong>in</strong>d. Es gibt beispielsweise die Idee des »Großen«, die Idee des »Geraden«,<br />
des »Schönen« und des »Guten«. Alle S<strong>in</strong>nend<strong>in</strong>ge, die daneben groß, gerade,<br />
schön oder gut s<strong>in</strong>d, haben Anteil an der entsprechenden Idee.<br />
Die Idee der Größe kann niemals kle<strong>in</strong> werden. Doch nicht nur gegensätzliche Ideen<br />
selbst schließen sich aus, sondern auch D<strong>in</strong>ge, die diese Gegensätze <strong>in</strong> sich tragen, ohne<br />
selbst Gegensatz zu se<strong>in</strong>: Die Zahl drei ist nicht Gegenteil vom Geraden, kann aber als<br />
ungerade Zahl (mit Teilhabe an der Idee des »Ungeraden«) niemals das Gerade <strong>in</strong> sich<br />
aufnehmen.<br />
Diese Feststellung überträgt Sokrates auf die Seele, welche Träger<strong>in</strong> des Lebens ist.<br />
(Das griechische Wort für Seele, psyche, bedeutet auch ursprünglich »Leben«.) Wenn die<br />
Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en leblosen Körper h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>fährt, dann br<strong>in</strong>gt sie ihm immer das Leben. Damit<br />
kann sie als Teilhaber<strong>in</strong> an der Idee des Lebens allerd<strong>in</strong>gs nie den Gegensatz Tod <strong>in</strong> sich<br />
aufnehmen. Sie ist unsterblich.<br />
6.6 Seneca – De providentia — Unglück als wahres Glück<br />
Die vorliegende Schrift De providentia, zu Deutsch Über die Vorsehung, ist e<strong>in</strong>e Spätschrift<br />
von L. Annaeus Seneca (1 v./n. Chr. – 65 n. Chr.). Ausgehend von der Frage, warum,<br />
»wenn die Welt durch e<strong>in</strong>e Vorsehung gelenkt werde, guten Menschen viel Unheil<br />
zustoße« (I, 1), entwickelt Seneca se<strong>in</strong>e stoische Auffassung vom Schicksal. Der Autor<br />
geht zum e<strong>in</strong>en davon aus, dass e<strong>in</strong>e feste und gottgelenkte Weltordnung besteht, die auf<br />
aufe<strong>in</strong>anderfolgenden Ursachen fußt, und zum anderen davon, dass sich Gleichartiges<br />
<strong>in</strong> der Natur niemals gegenseitig negativ bee<strong>in</strong>flussen könne. Das heißt, dass die Götter<br />
niemals guten Menschen (boni viri) schaden könnten. Dementsprechend besteht zwischen<br />
den Göttern und den boni viri »Verwandtschaft und Ähnlichkeit« (I, 5). Diesem Verhältnis<br />
nach erzieht der Gott die guten Menschen so, »dass sie vor Härten und Schwierigkeiten<br />
nicht zurückschrecken, noch sich über das Schicksal beklagen, dass sie, was auch immer<br />
geschieht, für gut bef<strong>in</strong>den und es zum Guten wenden« (II, 4). Dafür teilt der Gott ihnen<br />
harte Schicksale zu, damit sie sich an ihnen erproben und abhärten können, bis sie<br />
durch die Gewohnheit zum »Vergnügen« (IV, 15) werden. Durch die Erprobung und<br />
die Abhärtung gelangt der bonus vir zur Erkenntnis über sich selbst, da er erst jetzt<br />
erkennt, was er »zu leisten vermag [. . .]« (IV, 3). Seneca geht es darum, das existenzielle<br />
Problem der Unerklärbarkeit von Unglück <strong>in</strong> der Welt dadurch zu lösen, dass nicht<br />
das Ausgangsproblem, sondern der Zugang bzw. die Haltung des Menschen zu diesem<br />
grundlegend verändert wird.<br />
Das häufige Auftreten von Unglück im Leben e<strong>in</strong>es bonus vir zeigt folglich die Gunst<br />
der Götter an, da sie den bonum vir als würdig genug erachten, um ihm e<strong>in</strong> hartes<br />
Schicksal aufzuerlegen. Das bedeutet, dass das Erhalten von Unglück <strong>in</strong> Wirklichkeit<br />
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