JGW-SchülerAkademie Papenburg 2011 - Jugendbildung in ...
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6 E<strong>in</strong>e philosophische Analyse der Liebe<br />
6.1 Vorwort<br />
Björn Freter und Ricarda Gäbel<br />
Mit der Liebe hat sich das abendländische Denken seit jeher beschäftigt. So verstehen<br />
etwa Hesiod und Empedokles die Liebe als weltschöpfende Kraft. Platon begreift unter<br />
der sogar Liebe all das, was menschliches Tun überhaupt <strong>in</strong> Bewegung setzt, e<strong>in</strong> Begehren<br />
h<strong>in</strong> zum Schönen und Guten. Und die Theologie des Neuen Testamentes entsteht ganz<br />
aus der Annahme, <strong>in</strong> der Passion Christi habe sich die unbed<strong>in</strong>gte Liebe Gottes gegen<br />
se<strong>in</strong>e Geschöpfe erwiesen.<br />
Indes, es ist doch irritierend bei all diesen Ansätzen, sei es der e<strong>in</strong>es Hesiod, e<strong>in</strong>es Platon<br />
oder e<strong>in</strong>es Paulus, dass die Liebe immer erst im Rahmen e<strong>in</strong>er komplizierten Metaphysik<br />
bestimmt werden kann. Sollten wir die Liebe vielleicht erst verstehen können, sollten wir<br />
gar erst lieben können, nachdem wir vorsokratische Kosmologie oder platonische Dialoge<br />
oder das Neue Testament studiert haben? Müssen wir etwa das Denken über die Liebe und<br />
das Lieben vone<strong>in</strong>ander trennen? Geht es um e<strong>in</strong>e Liebe, wenn wir über sie nachdenken,<br />
und um e<strong>in</strong>e ganz andere Liebe, wenn wir sie leben? Wie konnte es eigentlich zu dieser<br />
Spannung zwischen gedachter und gelebter Liebe gekommen?<br />
Der E<strong>in</strong>druck dieser Spannung verstärkt sich noch, wirft man etwa e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong><br />
die dramatische Literatur der Antike. Denn dort, <strong>in</strong> praxi, sche<strong>in</strong>en die existentiellen<br />
Probleme der Liebe viel unmittelbarer dargestellt – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise, wie sie mit Hilfe der<br />
antiken Philosophie und Theologie gar nicht beschrieben werden könnten.<br />
Der Kurs hat sich vor allem auf die Analyse der anthropologischen Fundamente<br />
konzentriert, also vor allem an den Prälim<strong>in</strong>arien der philosophischen Analyse der<br />
Liebe gearbeitet. So wird <strong>in</strong> den folgenden Texten auch vor allem diese grundlegende,<br />
anthropologische Arbeit dokumentiert.<br />
6.2 E<strong>in</strong> literarischer Versuch über die griechische Tragödie<br />
. . . wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Bl<strong>in</strong>dheit, und<br />
bewirken so auf unheilvolle Weise, daß das, was geschieht, mit vollem Recht zu<br />
geschehen sche<strong>in</strong>t, und so verwandelt sich tiefes Unglück <strong>in</strong> tiefste Schuld . . .<br />
— Velleius Paterculus<br />
Es kommt der schicksalhafte Tag, da werden die Größten unter den Sterblichen durch<br />
die Götter von ihrem Thron gestürzt, wie aus dem Nichts fällt das Unglück über sie here<strong>in</strong>.<br />
Mit Bl<strong>in</strong>dheit geschlagen treiben sie auf den Wellen der Hybris auf ihren Untergang<br />
zu, denn <strong>in</strong> den wirren Nebeln der Täuschung s<strong>in</strong>d die Schiffbrüchigen unfähig, das<br />
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