JGW-SchülerAkademie Papenburg 2011 - Jugendbildung in ...
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6 E<strong>in</strong>e philosophische Analyse der Liebe<br />
Ruder des Schicksals herumzureißen, sodass sie ihre Augen vor dem unausweichlichen<br />
Sturz verschließen, womit sie ihn besiegeln. Geformt aus den mythischen Sagen der<br />
Alten, überdauern die unsterblich Gewordenen die Jahrtausende, ihr Unglück macht<br />
sie zu Göttern der Seele des Abendlandes. Der stolze König Ödipus, der aus Furcht<br />
und Liebe den Orakelspruch flieht, nimmt sich das Licht der Welt mit e<strong>in</strong>er Nadel der<br />
erhängten Gottlosen. Aus demselben Hause stammend, mit derselben Hybris geschlagen,<br />
wagt Antigone das Werk der Götter selbst anzufangen, als dieses schon vollbracht, aus<br />
Bruderliebe zieht sie sich und das Haus des Tyrannen <strong>in</strong>s Unglück, aus dem Leben gerissen<br />
durch die eigene Hand. Den beiden Herrschern, mit allem Leid der Welt beladen,<br />
widerfährt die sophokleische Gnade der E<strong>in</strong>sicht. Ach, wehe denen, die nicht besonnen<br />
s<strong>in</strong>d, ihr Wissen zu teilen, abzuwägen – ihr Handeln, ihr Fallen, wozu? Der Mensch, das<br />
leidende Wesen. Die mächtige, lodernde Zauber<strong>in</strong>, die verschmähte Liebende, die stolze<br />
Krieger<strong>in</strong> Medea. Sie, die unglücklichste aller Mütter, die ihre K<strong>in</strong>der der Ehre zur Rache<br />
opfert, welch Kampf tobt <strong>in</strong> ihrer Brust. Doch selbst jener treueste Diener der Re<strong>in</strong>heit,<br />
se<strong>in</strong> Leben Artemis geweiht, zu Tode geschleift liegt Hippolytos danieder. Er vergibt<br />
dir, oh Theseus. Gedenke de<strong>in</strong>er Geliebten, die Aphrodite im Neid mit jener Krankheit<br />
vergiftete, die die Seele <strong>in</strong> Flammen setzt. Welch große Frau, die stolze Phaidra. Ihr<br />
großen Helden, was wollt ihr uns sagen? Dem Schicksal sich fügen? Die Götter, me<strong>in</strong>t<br />
ihr, sie ehren im Leben? Das Herz vor den schwachen Gefühlen verschließen? Den Tod<br />
aus Scham der Schande vorziehen? Oh ihr Helden, wo ist eure gepriesene Weisheit<br />
geblieben? Konntet ihr nicht auf solcherlei Weisen eurem Schicksal entr<strong>in</strong>nen, als ihr<br />
noch unter der Sonne wandeltet?<br />
6.3 Sophokles’ König Ödipus: Wie Ödipus lernt zu sehen, als er nicht<br />
mehr sieht<br />
In diesem Aufsatz soll sowohl die Frage nach der Schuld des Ödipus als auch die<br />
Relevanz dieser Frage analysiert werden. Des Weiteren wird e<strong>in</strong> Blick auf die Verfassung<br />
und Reaktion des Protagonisten nach Aufdeckung se<strong>in</strong>es Schicksals geworfen und<br />
versucht, nachzuvollziehen, welches pädagogische Ziel Sophokles womöglich verfolgt<br />
haben könnte.<br />
König Ödipus gehört zweifellos zu den bedeutendsten griechischen Tragödien und<br />
hat aufgrund der moralisch-ethischen Thematik nie an Aktualität verloren. Das Uraufführungsdatum<br />
kann nicht e<strong>in</strong>deutig bestimmt werden, es beläuft sich auf die Jahre<br />
zwischen 429–425 v. Chr. Der Ödipusmythos ist fast jedem grob bekannt und wird bis<br />
heute heftig von Philosophen, Philologen und Psychoanalytikern diskutiert.<br />
Zunächst die Vorgeschichte: Die Ehe des Laios, Königs von Theben, und se<strong>in</strong>er Frau<br />
Iokaste bleibt sehr lange k<strong>in</strong>derlos, woraufh<strong>in</strong> Laios aufbricht, das delphische Orakel<br />
zu befragen. Aufgrund e<strong>in</strong>es Vergehens an e<strong>in</strong>em Jungen erhält er von den Göttern e<strong>in</strong><br />
Verbot, Söhne zu zeugen. Handele er diesem zuwider, werde se<strong>in</strong> Sohn ihn töten und<br />
die Mutter heiraten. Das Ehepaar widersetzt sich dem Verbot und zeugt e<strong>in</strong>en Sohn,<br />
den sie aus Angst vor dem Orakel mit durchbohrten Füßen im Gebirge aussetzen lassen,<br />
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