JGW-SchülerAkademie Papenburg 2011 - Jugendbildung in ...
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5.16 Versöhnen durch Vergessen<br />
Durch die Darstellung des alten Königsbergs als Paradebeispiel für fe<strong>in</strong>dliche, privatkapitalistische<br />
Städte wurde die Umstrukturierung und Umbenennung <strong>in</strong> Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>grad<br />
legitimiert. Darüber h<strong>in</strong>aus sollte die »Tabuisierung der deutschen Vorkriegsgeschichte«<br />
dem Ziel der E<strong>in</strong>gliederung Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>grads <strong>in</strong> die Sowjetunion dienen (Matthes 2001:<br />
1350). Dabei wurde versucht, diese aus dem kollektiven Gedächtnis der E<strong>in</strong>wohner zu<br />
verdrängen, und e<strong>in</strong>e neue Vergangenheit, vor allem aber e<strong>in</strong>e ruhmreiche Zukunft<br />
zu kreieren. Mit Hilfe der feststehenden Ideologie sollte die Weltanschauung der Heranwachsenden<br />
geformt werden. Die Durchsetzung dieser »verordneten E<strong>in</strong>stellung«<br />
erwies sich allerd<strong>in</strong>gs als problematisch, da beispielsweise noch verbliebene Bauten <strong>in</strong><br />
der Stadt an e<strong>in</strong>e bessere Zeit er<strong>in</strong>nerten (Hoppe 2000: 300–303).<br />
Die Bevölkerung reflektierte die durch die Regierung verordnete Bewertung und es<br />
begann e<strong>in</strong> Prozess der Neubeurteilung der deutschen Vergangenheit. E<strong>in</strong> Spiegel dieser<br />
Entwicklung ist die Diskussion über den Erhalt oder die Sprengung des alten Königsberger<br />
Schlosses als zentraler Er<strong>in</strong>nerungsort der Stadt. Der sowjetische Parteiapparat<br />
hatte schon früh hervorgehoben, dass die Bewahrung des Schlosses im Widerspruch<br />
zur kommunistischen Ideologie stand. So erkannten die Kommunisten beispielsweise<br />
im Schloss e<strong>in</strong>en Ausdruck reaktionärer Verhältnisse. In der Öffentlichkeit nahm allerd<strong>in</strong>gs<br />
langsam die Überzeugung zu, dass der Erhalt des Schlosses als Sehenswürdigkeit<br />
und Verb<strong>in</strong>dungsstück der deutsch-russischen Vergangenheit erhalten bleiben sollte.<br />
Trotz schlagkräftiger Plädoyers für den Erhalt des Schlosses wurde dieses schließlich<br />
gesprengt, um den Führungsanspruch der Partei zu unterstreichen (Hoppe 2000: 305 f.).<br />
An der Stelle des Schlosses begann der Neubau e<strong>in</strong>es »Haus der Sowjets«, das die Formensprache<br />
der sowjetischen Zentralregierung aufnahm und <strong>in</strong> die Prov<strong>in</strong>z weitertragen<br />
sollte, allerd<strong>in</strong>gs nie abgeschlossen wurde (Sezneva 2003: 71).<br />
Dieser Ausgang der Diskussion erwies sich als äußerlicher Sieg der KPdSU, da sich<br />
entgegen der Zielsetzung bei den Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>gradern e<strong>in</strong>e regionale Identität entwickelte.<br />
Die Bevölkerung stellte vermehrt die Besonderheiten, die ihre Region aufgrund der<br />
deutschen Vergangenheit aufzuweisen hatte, heraus. Gerade im heutigen russischen<br />
Zentralstaat offenbart sich dieser Lokalpatriotismus <strong>in</strong> Schlagzeilen wie »Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>grad<br />
will mehr Königsberg« oder <strong>in</strong> den Plänen, das gesprengte Schloss zu rekonstruieren<br />
(Guratzsch: 2010).<br />
5.16 Versöhnen durch Vergessen<br />
Nach e<strong>in</strong>em (Bürger-)Krieg vergessen beide Seiten, was geschehen ist, um den Frieden<br />
und das geme<strong>in</strong>same Zusammenleben zu sichern. E<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an das Schlimme<br />
dagegen erzeugt Rache, diese wiederum Wiederrache (Meier 2010: 13).<br />
Das »Vergessen« als Lösung von Konflikten setzt sich von den Indianern bis heute<br />
fort: W<strong>in</strong>ston Churchill wünschte 1946 den Frieden zwischen den ehemals verfe<strong>in</strong>deten<br />
Nationen durch e<strong>in</strong>en »segensreichen Akt des Vergessens« zu vollziehen. In der Antike<br />
festigte sich dafür, ausgehend vom term<strong>in</strong>us technicus me mnesikake<strong>in</strong> (»Gedenke nicht<br />
das Schlimme«), der Begriff der »Amnestie« (»Nicht-Er<strong>in</strong>nern«) (Meier 2010: 18). B<strong>in</strong>-<br />
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