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Kolonischtegschichtla von Hermann Bachmann als Dokument der ...

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(Re)integration verhältnismäßig leicht, da mein Vater hier in <strong>der</strong> Stammfirma<br />

wie<strong>der</strong> Arbeit <strong>als</strong> Prokurist fand und ein paar Verwandte in <strong>der</strong> Stadt wohnten.<br />

Trotzdem musste ich mir in <strong>der</strong> Schule <strong>als</strong> Flüchtling (eine Menschenklasse, die<br />

<strong>von</strong> manchem Einheimischen nicht gern gesehen wurde) meinen angemessenen<br />

Platz erkämpfen, mein sächsischer Dialekt wurde mir <strong>von</strong> meinen Mitschülern<br />

im eigentlichen Sinn des Wortes ausgeprügelt.<br />

Bei erbetenen Auskünften über meine frühe Biographie wurde mir später<br />

manchmal die zum Nachdenken anregende Frage gestellt: sind Sie Sachse o<strong>der</strong><br />

Schwabe Ich musste gegenfragen: halten Sie die Geographie o<strong>der</strong> die Ethnizität<br />

wichtiger für die Identität Natürlich fühlte ich mich <strong>als</strong> Schwabe, nicht nur wegen<br />

<strong>der</strong> Herkunft <strong>von</strong> schwäbischen Eltern und Großeltern, son<strong>der</strong>n auch, weil<br />

ich die prägenden Jahre meiner Jugend, die Oberschulzeit <strong>von</strong> 1947 bis 1956. in<br />

Stuttgart erlebt hatte. In jener Zeit betrachtete ich Stuttgart und Württemberg <strong>als</strong><br />

Heimat, mit Schulkameraden erwan<strong>der</strong>te ich das schöne Land und erlebte die<br />

abwechslungsreiche Landschaft, die alte Reprasentationsarchitektur (die Kirchen,<br />

Burgen, Schlösser, Paläste und Rathauser) sowie die organisch gewachsenen<br />

Dörfer und Kleinstädte mit jugendlicher Intensität. Hier wurden innere Bil<strong>der</strong><br />

für das ganze Leben gespeichert. Das Hineinwachsen in die große deutsche<br />

Kultur wurde durch die Schule gefor<strong>der</strong>t, im Deutsch-, Geographie-, Kunst- und<br />

Musikunterricht, auch im Geschichtsuntericht, <strong>der</strong> dam<strong>als</strong> positive Kontinuitäten<br />

vermittelte. Die - infolge <strong>der</strong> Deeskalierung des kalten Krieges - seit den 1960er<br />

Jahren immer schriller werdende "Vergangenheitsbewältigung", d.h. die einseitige<br />

Betonung deutscher Schuld, hielt sich in Westdeutschland in den 1950er<br />

Jahren durchaus in Grenzen, denn man war ja in <strong>der</strong> BRD auf Befehl Amerikas<br />

damit beschäftigt, die Bundeswehr aufzubauen; in einer solchen Phase wäre es<br />

dem politischen Zweck abtraglich gewesen, die Psyche <strong>der</strong> Bundesdeutschen zu<br />

sehr zu dcstabilisieren.<br />

Rückblickend kann ich sagen, dass ich mich in meiner Oberschulzeit heimatlich<br />

geborgen fühlte, daß ich ‒ trotz <strong>der</strong> mit dem Heranwachsen verbundenen<br />

Probleme ‒ glücklich war.<br />

Da mein Vater 1956 beauftragt wurde, eine Filiale <strong>der</strong> Stuttgarter Firma in<br />

München aufzubauen, lebte die Familie seit dieser Zeit in <strong>der</strong> bayrischen Hauptstadt.<br />

Die <strong>von</strong> <strong>der</strong> sächsischen und schwäbischen durchaus verschiedene bayrische<br />

Lebensart war mir sympathisch, trotzdem wurde ich nicht zum Bayer und<br />

nahm nicht den bayrischen Dialekt an. Mein Studium <strong>der</strong> Germanistik, Anglistik<br />

und Romanistik absolvierte ich in Tübingen und München, das Examen legte ich<br />

in München ab; ein halbes Jahr studierte ich an <strong>der</strong> Sorbonne in Paris, und in<br />

London nahm ich an einem Ferienkurs teil mit nachfolgen<strong>der</strong> mehrwöchiger Autostop-Reise<br />

durch England und Schottland. Auf <strong>der</strong> sicheren Grundlage einer<br />

schwäbisch-deutschen Identität erlebte und absorbierte ich begierig die französische<br />

und englische Kultur. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich <strong>als</strong><br />

Abiturient auf meiner ersten Auslandsreise nach Burgund <strong>von</strong> <strong>der</strong> dortigen romanischen<br />

und gotischen Architektur, <strong>von</strong> <strong>der</strong> lieblichen Landschaft mit ihren<br />

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