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Kolonischtegschichtla von Hermann Bachmann als Dokument der ...

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Ich war bewusster Atslandsdeutscher geworden. Als ich nach 30 Jahren<br />

Kanada mit meiner Frau auf Bitten meiner nun behin<strong>der</strong>ten Mutter nach Stuttgart<br />

zurückkehrte, das ich vor 40 Jahren verlassen hatte, war dies keine Heimkehr<br />

eines verlorenen Sohnes in das gelobte Land. Zu viel hatte sich in Demographie<br />

und Mentalität verän<strong>der</strong>t, <strong>als</strong> daß das Heimatgefühl <strong>der</strong> Jugend sich<br />

wie<strong>der</strong> eingestellt hätte ‒ zumal auch nach <strong>der</strong> Emeritierung einige neue Aufgaben<br />

auf mich zukamen. Ein schwer wiegendes Positivum meiner erneuten Existenz<br />

in Deutschland war die (mir in Nordamerika nicht gegebene) Möglichkeit,<br />

den bis 1990 verschlossenen Osten Europas, vor allem Russland näher kennen<br />

zu lernen. Mit finanzieller Unterstützung des DAAD konnte ich 1998 und 1999<br />

zwei Semester lang an <strong>der</strong> Linguistischen Universität in Minsk Deutsch lehren,<br />

ein Stipendium <strong>der</strong> Stiftungsinitiative Johann Gottfried Her<strong>der</strong> ermöglichte mir<br />

2000 bis 2002 drei Semester <strong>als</strong> Gastprofessor in Saratow und Balaschow, und<br />

<strong>von</strong> März bis Ende Mai 2003 gab ich Kurse in deutscher Literatur an <strong>der</strong> Staatlichen<br />

Universität Kaliningrad. Ich fand diese fünf Jahre recht spannend, und ich<br />

fühlte mich im Kollegenkreis und beson<strong>der</strong>s im Gespräch mit den offenen,<br />

wohlwollenden, sprachlich kompetenten und interkulturell neugierigen Studenten<br />

sehr wohl. Noch wohler hätte ich mich gefühlt, wenn die russische Sprache<br />

nicht so verteufelt schwierig wäre, so dass man sie im Alter trotz redlicher Bemühung<br />

nicht mehr zu erlernen vermag. Ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich<br />

meine Erfahrungswelt um die russische Dimension erweitern und dass ich in <strong>der</strong><br />

Praxis verifizieren konnte, was ich vorher nur wünschte und еrahnte; nämlich<br />

dass diese beide großen Völker ohne gezielte geopolitische Schulung – gefühlsmäßig<br />

den ehrlichen Wunsch nach Verständigung und Freundschaft haben, dass<br />

es – bei einigen klar erkennbaren Unterschieden – bei beiden Völkern eine verwandte<br />

Seelenlage gibt, die eine solide Basis für eine enge Partnerschaft in <strong>der</strong><br />

Zukunft verbürgen kann.<br />

Müsste ich meine heutige Identität auf eine Formel bringen, so würde ich<br />

mich <strong>als</strong> einen in seiner Sprache und Kultur tief verwurzelten Deutschen bezeichnen,<br />

<strong>der</strong> durch langjähriges Kennenlernen an<strong>der</strong>er Lan<strong>der</strong> und Völker eine<br />

tiefgreifende Bereicherung erfahren hat, <strong>der</strong> nach wie vor auf an<strong>der</strong>e Kulturen<br />

neugierig ist und <strong>der</strong> durch seine interkulturellen Kontakte sein Schärflein zur<br />

Völkerverständigung beitragen möchte und hoffentlich beiträgt.<br />

Was habe ich in meinem Leben auf zwei Kontinenten im fruchtbaren<br />

Kontakt mit einer Reihe <strong>von</strong> Völkern, gelernt Dass man in <strong>der</strong> Kenntnisnahme<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en die eigenen Positionen nolens volens modifizieren und bis zu einem<br />

gewissen Grad relativieren muss. Dass es zur echten, ehrlichen Völkerverständigung<br />

auf eine gemeinsame ethische Basis ankommt: man darf keine Doppelmoral<br />

haben, man muss für eigenes und fremdes Handeln die gleichen Kriterien<br />

anwenden. Und: dass die Wahrheitssuche in Hinsicht auf geschichtliche Ereignisse<br />

sehr wichtig ist (ohne Wahrheit keine Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit<br />

kein Friede), dass aber auch <strong>der</strong> Wille vorhanden sein muss, vergangenes Unrecht<br />

zu vergeben o<strong>der</strong> wenigstens zu vergessen.<br />

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