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Kolonischtegschichtla von Hermann Bachmann als Dokument der ...

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lem die Deutschen und die Italiener haben anfänglich dazu beigetragen, dass <strong>der</strong><br />

Weinbau in Kanada inzwischen Weltklasse erreicht hat). Auch sonst gab es viel<br />

Fremdes, Befremdendes. Ich musste mir emgestehen, dass es große Unterschiede<br />

gab zwischen <strong>der</strong> nordamerikanischen und <strong>der</strong> europäischen Kultur. Hier erkannte<br />

ich zum ersten Mal in <strong>der</strong> Realität, im praktischen Erleben des transatlantischen<br />

Kontrastes, wie viel Verbindendes <strong>der</strong> europäische Lebensstil hat, wogegen<br />

bei Reisen in Europa dam<strong>als</strong> vor allem die nationalen Verschiedenheiten<br />

auffielen.<br />

Das Geiühl <strong>der</strong> Entfremdung anlässlich <strong>der</strong> Masse des zu assimilierenden<br />

Neuen (<strong>von</strong> <strong>der</strong> Sprache über die Medien, das Theaterleben, den Sport, die Freizeitgestaltung,<br />

die Essgewohnheiten bis zum Verhältnis <strong>der</strong> Geschlechter u.a.)<br />

war ein Jahr lang so stark, dass es sich psychosomatisch auswirkte: ich hatte unerträgliche<br />

Nervenschmerzen auf Brust und Rücken, die kein Arzt zu kurieren<br />

vermochte und die ich allmählich nur durch Selbstheilung in den Griff bekam<br />

Da mir wegen des Verlusts meiner Verbeamtung <strong>als</strong> Lehrer die Rückkehr nach<br />

Deutschland zunächst verbaut war (ich hätte mich dort wahrscheinlich in einen<br />

neuen Beruf einarbeiten müssen), galt es, sich einzurichten, einen erträglichen<br />

modus vivendi zu finden. Allmählich wurde das tägliche Leben, vor allem dank<br />

<strong>der</strong> Beiträge ideenfreudiger, initiativereicher Europäer, leichter und vertrauter:<br />

die Ess- und Trinksitten verbesserten sich, das Kulturleben wurde reicher (<strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> kanadischen Operngesellschaft war ein deutscher Einwan<strong>der</strong>er, die<br />

Grün<strong>der</strong>in des kanadischen Nationalballetts eine Russin), man gewann an Sicherheit<br />

in <strong>der</strong> Landessprache, <strong>der</strong> Bekanntenkreis erweiterte sich. Nach Erlangung<br />

meines Doktorats an <strong>der</strong> Universität München bekam ich "tenure", d.h.<br />

Anstellung auf Lebcnszeit an <strong>der</strong> Universität Toronto. Da nach <strong>der</strong> Ausweitung<br />

<strong>der</strong> vorher eurozentrischen Einwan<strong>der</strong>ungsbestimmungen durch die Premierminister<br />

Pearson und Trudeau die Großstadt Toronto sich <strong>als</strong> Magnet für Einwan<strong>der</strong>er<br />

aus aller Welt erwies, fiel man mit einem fremden Akzent nicht auf. Die<br />

größere Lässigkeit <strong>der</strong> Lebensführung empfand man zunehmend <strong>als</strong> angenehm,<br />

auch die Stehparties mit ihrem "small talk", bei denen ernste, tiefgründige Gespräche<br />

verpönt waren, bereiteten nach einiger Zeit Vergnügen. Das Lehren<br />

machte Spaß und war interessant, da die Studenten – vielfach Kin<strong>der</strong> <strong>von</strong> Einwan<strong>der</strong>ern<br />

– verschiedener nationaler Herkunft waren. Meine Doktororbeit erschien<br />

im Druck, die wissenschaftlichen Projekte gediehen, mein Gehalt gestattete<br />

mir ein angenehmes Leben. Der Verkehrston <strong>der</strong> Menschen untereinan<strong>der</strong><br />

war zivilisiert, das Zusammenleben dieser heterogenen Bevölkerung war an <strong>der</strong><br />

Oberfläche recht harmonisch. Diese Harmonie konnte, vor allem in intellektuellen<br />

Kreisen, aber schnell dahinschwinden, wenn es sich um historisch-politische<br />

Fragen handelte, z B. um die Interpretation <strong>der</strong> beiden Weltkriege des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Das intellektuelle Establishment, die Tonangebenden in den Medien<br />

und den akademischen Institutionen – und damit auch <strong>der</strong> "mainstream" <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

– in Nordamerika sind es gewohnt, dass ein Deutscher schuldbewusst<br />

und demütig den Kopf senkt, wenn mit erhobenem Zeigefinger <strong>der</strong> Stab über die<br />

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