österreichische zeitschrift für ... - Universität Wien
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So fragwürdig der Vergleich mit Westdeutschland ist, so richtig dürfte der<br />
Hinweis auf die Auswirkungen der Entnazifizierung auf das geistige Leben sein.<br />
Man dürfe aus dem Umstand, daß in <strong>Wien</strong> bestimmte kulturelle Aktivitäten –<br />
Oper, Theater und Konzerte – gedeihen, nicht auf andere schließen. Darstellende<br />
Kunst sei etwas anderes als kreative Fähigkeiten. Zwar seien <strong>österreichische</strong><br />
Schauspieler im gesamten deutschen Sprachraum gefragt, aber über Jahrzehnte<br />
hinweg habe kein <strong>österreichische</strong>r Schriftsteller ein ” acceptable play“ zustandegebracht.<br />
” University life, which of course requires creative skill, shows the<br />
decline of intellectual level most acutely.“ Die Lage werde durch die aktuellen<br />
politischen Verhältnisse – wir befinden uns im Jahr 1958 – noch verschlimmert.<br />
Die Koalition zwischen ÖVP und SPÖ funktioniere zwar und habe dem Land<br />
auch zu annehmbarem Wohlstand verholfen, aber das intellektuelle Leben leide<br />
darunter. Wichtige Fragen würden, um die Koalition nicht zu gefährden, gar<br />
nicht diskutiert, und Politik bestehe nur in Verhandlungen der Parteien über<br />
Postenvergaben, was Auswirkungen auf junge Leute habe, die nur reüssieren<br />
könnten, wenn sie von einer der beiden Parteien unterstützt würden, der sie<br />
dann ihren Dank abzustatten hätten. Die empirischen Sozialwissenschaften litten<br />
unter diesen Umständen weit mehr als andere intellektuelle Aktivitäten.<br />
The Catholic Church is suspicious of them (i. e. empirical social sciences) for a variety<br />
of reasons: Substantive findings might come in conflict with certain dogmatic<br />
positions; quantitative methods do not seem congenial to a spiritual outlook of life.<br />
Beyond this there is the church’s inclination to favor traditional procedures: philology<br />
is preferable to comparative studies of literature; experimental psychology to psychoanalysis.<br />
It is doubtful whether the ruling bureaucracy in the S.P. has a very genuine<br />
understanding of what empirical social research could do for their cause; but even if<br />
they had they would not put up a major fight for it because they do not want to rock<br />
the boat.<br />
Sozialwissenschaftlich beachtenswert seien nur das Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung,<br />
das auf hohem Niveau arbeite, sei ihm versichert worden, und in Linz<br />
gebe es einen Bürgermeister, der eine <strong>Universität</strong> <strong>für</strong> social and political sciences<br />
gründen wolle. 13 Vor diesem Hintergrund seien die Treffen zu sehen, über die<br />
er im zweiten Teil seines Report on Austria berichte.<br />
13 Heinrich Drimmel, der 1973 Lazarsfelds ’ Pre-history‘ mit der Bitte um Ergänzungen und<br />
Kommentare aus seiner Sicht zugesandt bekommen hatte, erklärte, keine Aufzeichnungen<br />
darüber zu haben und daher nur über seine persönliche Sicht schreiben zu können. Obiger<br />
Darstellung Lazarsfelds über die <strong>österreichische</strong>n sozialwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen<br />
widersprach Drimmel heftig: ” Demnach existierten damals außer dem Institut <strong>für</strong><br />
Wirtschaftsforschung (aus dem Kamitz hervorgegangen ist) nur noch 2 (in Worten: zwei) wissenschaftlich<br />
relevante Instanzen in Österreich: die Hochschule in Linz (bei deren Gründung<br />
die Exponenten der SPÖ immer mehr hervortraten) und die ein [!] Gruppe von Linkskatholiken<br />
um Friedrich Heer.“ Drimmel an Gerhart Bruckmann, Direktor des IHS, 8. April 1973,<br />
im Anhang zu Lazarsfeld, Pre-history, wie Anm. 9.<br />
134 ÖZG 11.2000.1