österreichische zeitschrift für ... - Universität Wien
österreichische zeitschrift für ... - Universität Wien
österreichische zeitschrift für ... - Universität Wien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
vor den sechziger Jahren, 125 hatte die Schicht der Intellektuellen über mehrere<br />
Jahrzehnte hinweg einen Kontraktionsprozeß durchlaufen, der die Zahl derer,<br />
die als Kommunikationspartner in Frage gekommen wäre, auf eine derart geringe<br />
Zahl reduzierte, daß die ’ kritische Menge ’ <strong>für</strong> Initiativen, Organisationen<br />
oder Forschungszusammenhänge jedenfalls nie erreicht wurde. Eine detaillierte<br />
Analyse würden zeigen können, daß was hier pauschal behauptet wurde,<br />
vor allem <strong>für</strong> Soziologie und Politologie gilt, während in anderen Disziplinen<br />
diskursive Rudimente den epochalen Zivilisationsbruchs überlebten; die Nachkriegspsychologen<br />
und -ökonomen wußten immerhin noch, daß es in ihren Disziplinen<br />
früher bemerkenswerte einheimische Leistungen gegeben hatte, <strong>für</strong> die<br />
zuerst genannten Fächer wird man ein derartiges Bewusstsein in den fünfziger<br />
und frühen sechziger Jahre mit gutem Recht in Abrede stellen können.<br />
Auch die sozialmoralische Haltung der Wissenschaftler erodierte im Durchgang<br />
durch mehrere gesellschaftliche und politische Systembrüche und -wechsel.<br />
Der wichtigste Grund scheint in einem Patronagesystem zu suchen zu sein,<br />
das vollständig partikularistisch funktionierte: Im sozialen Normfall die Mitgliedschaft<br />
in einer Partei und im Feld der akademischen Betätigung die Nähe<br />
zu einem Mitglied des universitären Machtkartells, dem man sich als Gefolgsmann<br />
andient und dessen monopolistische Stellung man erben konnte, ohne<br />
zur Erbringung irgendwelcher Leistungen genötigt zu sein, die einem an einem<br />
anderen Ort einen Aufstieg eingebracht hätte. Das Fehlen fachlicher oder sozialer<br />
Kontrolle durch Peers und das dumpfe Wissen darum, daß vor nicht allzu<br />
langer Zeit auch universitäre Positionen arisiert wurden, ließ die intellektuelle<br />
Unabhängigkeit im Kern verrotten. Belohnt wurde in dem System, <strong>für</strong> das<br />
der Name des über viele Jahre hinweg <strong>für</strong> die <strong>Universität</strong>en zuständigen Ministerialbeamten<br />
und späteren Ministers Heinrich Drimmel als Synonym steht,<br />
das Bekenntnis zu diffusen <strong>österreichische</strong>n Werten und nicht die Erbringung<br />
universalistisch prüfbarer wissenschaftlicher Leistungen.<br />
Bleibt darauf hinzuweisen, daß Paul F. Lazarsfeld mehrfach dazu aufgefordert<br />
hatte, die Vorgeschichte des IHS zu analysieren, weil man daraus vielleicht<br />
etwas lernen könnte: Die einzigen, die diesem Appell folgten, waren Mitarbeiter<br />
der Ford Foundation, die herausfinden wollten, warum es zum <strong>Wien</strong>er Desaster<br />
gekommen war. Die <strong>Wien</strong>er reagierten wie auch bei anderen Aufrufen,<br />
sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen, mit der charakteristischen Mischung<br />
aus Abwehr und Vereinnahmung: zum Dreißig-Jahr-Jubiläum erschien<br />
eine Festschrift. 126<br />
125 Als einfachen Indikator kann man die Zahl der <strong>Universität</strong>sstudenten nehmen. Diese Zahl<br />
war 1956 gleich wie 1922 und steig erst in den sechziger Jahren an. Für die Identifizierung<br />
der Schicht sozialwissenschaftliche Intellektueller sind diese Indikatoren zu grob; die ersten<br />
Abvsolventen sozialwissenschaftlicher Ausbildungsgänge gab es erst Ende der sechziger Jahre.<br />
126 Bernhard Felderer, Hg., Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zwischen Theorie und<br />
Praxis. 30 Jahre Institut <strong>für</strong> Höhere Studien in <strong>Wien</strong>, Heidelberg 1993.<br />
178 ÖZG 11.2000.1